Kleine Weihnachtswunder geschehen

Weihnachtsstimmung an der Ebikoner Dorfstrasse. | Bild Richard Schacher

Das Weihnachtsfest erinnert die Christenheit an Ereignisse, deren Entstehung auch an Übernatur und Wunder mahnen, und dass scheinbar denkbar Unmögliches doch möglich sein kann. Doch es gibt auch kleine Wunder in unserem Alltag, oder an Weihnachten, wie eine hier nacherzählte Geschichte zeigt.

er. Er war einmal – im Rontal. Diese Weihnachtsgeschichte beginnt am Vorabend zur Feier. Nur die Weihnachtsbeleuchtung in den Dorfstrassen funkelt noch prächtig, doch kalt wie Diamanten und hell wie tausend Milchstrassen voller Sterne …

Ein Kind auf einer solchen Stras-se weiss nicht, wohin es gehen soll. Nur eines weiss es bestimmt: Heim geht es nicht. Zu Hause wartet wohl der Weihnachtsbaum. Aber zu Hause wartet auch wieder all dieser Stress, den der Junge nicht mehr ertragen kann: die Mutter, die kein Wort mehr mit dem Vater spricht, seit eine andere Frau angerufen hat. Der arbeitslose Vater, der stumm in einer Ecke hockt und ein Glas Bier nach dem anderen bechert. Der Bub war zum Sender der beiden geworden: «Sag deiner Mutter.» Und: «Sag deinem Vater…» – dies nun schon seit Wochen.

Der Bub geht durch die Strassen, vorbei an einer riesigen, beleuchteten Prachttanne. Im Fenster eines Geschäfts liegt das Computerspiel, das er sich gewünscht hat. Er weiss, dass er es bekommt. Dafür braucht er keine Wunschliste zu schreiben. Und auch keinen Brief ans Christkind. Wenn er einen Wunsch hat, sollte er es einfach sagen. Er hatte aber nur noch den einen Wunsch: Sie sollten endlich wieder miteinander reden. So wie früher. Das Ganze sollte wieder die alte Familie werden – mit den vertrauten Tönen. Natürlich hatten sich die beiden immer wieder mal in den Haaren gelegen. Zumeist wegen verschiedener politischer Auffassungen oder Geldsorgen. Und immer ist es dann laut dabei hergegangen. Aber das war nie schlimm. Diese Streiterei war besser gewesen als dieses sich Anschweigen, diese bleierne, tödliche Stille im Haus, die ihn nicht mehr denken liess. Sodass seine Schulnoten abrupt in den Keller jagten. Aber da müsste jawohl ein Wunder geschehen. Bei einem Schaufenster mit einer Weihnachtskrippe sagt er durch die Scheibe «mach, dass sie wieder miteinander reden!»

Dann geht er in die Dorfkirche und betrachtet dort die Weihnachtskrippe. Da liegt ein kleiner Jesus im Schosse seiner Mutter. Und mit diesen strahlenden Augen. Und einem geheimnisvollen Lächeln. Es wäre schön gewesen, an dieses Wunder glauben zu dürfen. Eben in diesem Augenblick hört er draussen wunderschöne Musik. Er geht den Melodien nach und er sieht auf dem Kirchenvorplatz die Bläser, welche ihre Choräle in die kalte Nacht hinaus tönen lassen. Er gesellt sich zu den Leuten, die andächtig dem Konzert lauschen. Zwischen den einzelnen Chorälen ist es still, fast wie zu Hause. Aber das hier ist eine friedlichere Stille, ein sanftes Schweigen.

Lautlos gleiten nun auch die ersten Schneeflocken auf die Pflastersteine, tanzende Sterne, die seine Nase kitzeln. Und dem Dorf in wenigen Minuten einen weiss schimmernden Festtagsmantel überwerfen. Die Posaunen sind verstummt. Die Leute haben sich davongemacht, haben einander «frohes Fest» gewünscht. Und den Jungen allein auf dem Platz zurückgelassen.

| Bild Richard Schacher

Der Bub sitzt auf der Treppe vor dem riesigen Kirchenportal und denkt, wie die andern Kinder nun Weihnachten feiern. Bei ihm zu Hause würde jetzt auch gefeiert, aber nur mit einem guten Essen und Geschenken. Seine Eltern sind aus der Kirche ausgetreten. Sie wollen, dass er sich später selber einmal dafür oder dagegen entscheiden kann. Eigentlich sind seine Eltern intelligent, aber das Herz redet nicht immer die Sprache der Gescheiten.

Ein Mann mit hellen, freundlichen Augen schüttelt den Buben an der Schulter: «Was tust du hier, wer bist du?» Der Junge fährt erschrocken hoch. Der Mann hilft ihm auf die Beine und der schaut sich verwirrt um: «Ich muss den Weihnachtsgottesdienst vorbereiten», lächelt nun der Dorfpfarrer, «aber vorher bringe ich dich noch heim. Komm rasch.»
Der Junge ist in seinen Gedanken in einer anderen Welt. Wie der Wagen des Pfarrers in die Strasse seiner Eltern einbiegt, sieht er ein Polizeiauto vor dem Haus. Seine Eltern reden auf zwei Polizisten ein. Er sieht, dass seine Mutter weint. Und er sieht, dass der Vater sie in seinen Armen tröstet. Plötzlich spürt der Junge ein unbeschreibliches Glücksgefühl in sich aufsteigen, ein Stückchen echte Weihnachtsfreude.

«Was hast du gesagt?», lächelt der Pfarrer und stoppt das Auto hinter dem Polizeiwagen. «Sie reden wieder miteinander», sagt der Junge. Und denkt – ein Wunder ist geschehen.

Die Geschichte ist nacherzählt nach einem unbekannten Autor.