Die alternde Gesellschaft fordert unser Vorsorgesystem heraus

Isabel Hürlimann Leiterin Geschäftsstelle Ebikon Raiffeisenbank Luzern

Finanzratgeber

Die grosse Herausforderung des Schweizer Vorsorgesystems ist längst bekannt und in breiten Kreisen unbestritten: Die Bevölkerung altert, sprich immer weniger junge Menschen finanzieren die Renten von immer mehr Pensionierten. Dieses Ungleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben geht auf Dauer nicht auf. Dessen sind sich laut der Studie Vorsorgebarometer 2022 viele Menschen in der Schweiz bewusst und sprechen sich daher für Reformen aus.

Vor bald 75 Jahren, im Jahr 1948, wurde die staatliche Altersvorsorge, die Eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung (kurz: AHV), eingeführt. Damit war die erste der drei Säulen unseres Vorsorgesystems, wesentliches Element unserer sozialen Sicherheit, begründet. Die demografischen Begebenheiten in den Anfängen der AHV waren allerdings massiv anders als heute: 1948 kamen auf jede pensionierte Person noch sieben Erwerbstätige. Heute sind es noch rund drei Personen, und für die Mitte dieses Jahrhunderts wird eine Quote von gegen 2:1 erwartet. Besonders im aktuellen Jahrzehnt nimmt der Anteil Erwerbstätiger dramatisch ab, weil die Babyboomer-Generation in Pension geht – Fachkräftemangel lässt grüssen.

Dreisäulensystem soll gestärkt werden

Die Schweizer Bevölkerung hat die Zeichen der Zeit erkannt, wie die Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage Vorsorgebarometer 2022 zeigen. «Unser Dreisäulensystem ist Kern des Schweizer Wohlstands», erklärt Isabel Hürlimann von der Raiffeisenbank Luzern. «Um das Dreisäulensystem allerdings im Gleichgewicht zu halten, sind Reformen unerlässlich.» Genauso sieht das auch die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer. Mehr als die Hälfte der Befragten sehen bei der AHV einen hohen Reformbedarf und bei der beruflichen Vorsorge einen mittleren. Nur wenig Änderungen wünschen sich die Befragten bei der privaten Vorsorge. Das Dreisäulensystem geniesst generell grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Mit knapp 60 Prozent spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung dafür aus, dass neben der AHV auch die zweite oder die dritte Säule gestärkt werden. 

Bevölkerung tut zu wenig für die eigene Vorsorge

Während der Reformbedarf durchaus anerkannt wird, stellt das Vorsorgebarometer 2022 fest, dass sich die Menschen weiterhin zu wenig mit ihrer persönlichen Altersvorsorge auseinandersetzen. «Wir gehen davon aus, dass das einerseits darauf zurückzuführen ist, dass das Thema noch sehr weit in der Zukunft liegt und somit das Thema nicht so populär ist», ergänzt Isabel Hürlimann. Die Ergebnisse aus der Bevölkerungsumfrage zeigen zudem, dass das Vorsorgewissen weiterhin sehr tief ist und gegenüber dem Vorjahr sogar abgenommen hat. Und wer wenig über die Vorsorge und Finanzen allgemein weiss, engagiert sich nur wenig für die eigene Altersvorsorge. Das ist insofern relevant in der privaten Vorsorge, der dritten Säule, wo der Bedarf an Eigenverantwortung am höchsten ist. «Die Beiträge aus der ersten und zweiten Säule decken durchschnittlich nur 60 Prozent des letzten Lohns vor der Pensionierung ab. Deshalb kommt man nicht umhin privat zu sparen, wenn man den Lebensstandard auch im Alter behalten will – gerade auch vor dem Hintergrund der grossen demografischen Herausforderungen in der ersten und zweiten Säule», rät Isabel Hürlimann.

Wertschriften als Inflationsschutz

Die Turbulenzen an den Finanzmärkten sowie die hohe Inflation in den letzten Monaten haben viele Sparerinnen und Sparer verunsichert. Wie soll ich meine privaten Vorsorgegelder überhaupt noch anlegen? Ist es am sichersten, mein Geld auf dem Sparkonto zu belassen? Das Vorsorgebarometer 2022 zeigt, dass signifikant mehr Menschen Angst davor haben, Leistungskürzungen bei der Rente hinnehmen zu müssen, weil sie ihre Vorsorgegelder nicht rentabel anlegen können. Zudem ist die grosse Mehrheit der Befragten überfordert, wenn es darum geht, die Vorsorgegelder vor der Inflation zu schützen. «Trotz der aktuellen Marktverwerfungen raten wir, mit Wertschriften für die persönliche Altersvorsorge zu sparen», erklärt Isabel Hürlimann. «Dank langem Anlagehorizont gleichen sich solche Schwankungen bis zur Pensionierung wieder aus und die Renditechancen sind wesentlich höher als auf dem Sparkonto. Zudem sind Wertschriften neben Immobilien und Gold der zuverlässigste Schutz gegen die hohe Inflation.»

Weitere Reformen werden folgen

Während laut der Bevölkerungsbefragung bei der dritten Säule der Reformbedarf am tiefsten ist, sind aktuell verschiedene Reformvorhaben in Diskussion oder werden zur Abstimmung gebracht, um die erste und zweite Säule wieder auf ein stabiles Standbein zu stellen. Sicher ist: Mit diesen Reformvorhaben wird es nicht getan sein. Die Gesellschaft wird weiter altern, der demografische Wandel ist unaufhaltsam. Wir werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deshalb weitere kleinere Reformschritte machen müssen, sodass das ganze System in einer Balance bleiben kann.


 

Vorsorgebarometer 2022: Schweizer Bevölkerung will das Dreisäulensystem stärken

Das Raiffeisen Vorsorgebarometer ist eine repräsentative Studie, die jährlich das Stimmungsbild der Schweizer Bevölkerung zur Altersvorsorge abfragt. Dieses Jahr wurde der Fokus auf die Zukunftsfähigkeit des Dreisäulensystems gelegt. Dabei zeigt sich, dass die dritte Säule das höchste Vertrauen unter den drei Säulen geniesst, gefolgt von der zweiten Säule. Das tiefste Vertrauen haben die Befragten in die erste Säule, die AHV.

Weitere Informationen zum Raiffeisen Vorsorgebarometer unter www.raiffeisen.ch/vorsorgebarometer