Mikrokredite für eine sichere Zukunft in Nepal

Keine Angst vor morgen

8 % Zinsen für Spareinlagen – keine Utopie, sondern Realität in Nepal. In einem Land, in dem 30 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze lebt. Hat da eine Bank zuviel Geld? Nein, nur ein kluges Konzept.

Mein einzigartiges, dreiwöchiges Trekking im vergangenen Mai in Nepal und Tibet liess mich, fern jeglicher Zivilisation, entschleunigen. Trotzdem wollte ich – zurück in Kathmandu – dem schönen Zinssatz von 8 % für Spareinlagen auf den Zahn fühlen. Die Zinsen vergibt die Sana Kisan Bikas Bank. Sie ist Finanzdienstleister für ihre ungewöhnlichen  Mehrheitseigner: die Kleinbauernkooperativen der Small Farmer Cooperative Limited, kurz SFCL. Die Vergabe von Mikrokrediten und Sparmöglichkeiten für die Genossenschaftsmitglieder stehen hierbei im Vordergrund. Viele der Mitglieder sind Eltern, und die legen Geld für die berufliche Ausbildung ihrer Kinder an.

Arbeiten und Sparen für den Nachwuchs

Bevor allerdings überhaupt an Sparen zu denken ist, muss natürlich erst einmal etwas eingenommen werden. Das ermöglichen die Mikrokredite, die die Kleinbauern zu einem Zinssatz von 12 bis 13 Prozent aufnehmen können. Damit bauen sich viele eine kleine landwirtschaftliche Existenz auf. Schon 10‘000 Rupien, umgerechnet 100 Franken, können ausreichen, um mit dem Kauf von zwei oder drei Ziegen in die Viehhaltung einzusteigen. Wenn dann aus dem Verkauf von Ziegenmilch oder Zicklein kleine Rücklagen gebildet werden, kann auch das Sparen für die Zukunft der Kinder beginnen.

Das Leben ist kein Zuckerschlecken

SFCL-Mitglied Gita Paneru lebt in Kumpur in der Nähe von Kathmandu. Sie hatte einen Mikrokredit in der Höhe von 200 Franken aufgenommen und einen Büffel gekauft – allerdings hatte sie versäumt, eine Versicherung für das Tier abzuschliessen. «Als der Büffel nach 6 Monaten starb, musste ich den Kredit trotzdem voll zurückzahlen. Das war nicht immer einfach und manchmal war ich mit der Zahlung in Verzug.» Aber die Genossenschaft liess die Frau nicht allein. Gemeinsam wurde ein für Gita tragbares Zahlungskonzept vereinbart, und so gilt die Bäuerin auch zukünftig noch als kreditwürdig – im «neoliberalen» Bankverkehr wäre das undenkbar.

Solidarität in Zeiten der Globalisierung

Für die SFCLs heisst die Devise: Nur mit gegenseitiger Unterstützung ist Entwicklung zu mehr Lebensqualität möglich. Die Kleinbauern-Kooperative von Salang nahe Kathmandu hat gemeinschaftliche Ersparnisse ihrer Mitglieder für den Aufbau eines eigenen Geschäfts zum Verkauf landwirtschaftlicher Produkte verwendet. Zusätzlich wurden Sammelstationen für Obst und Gemüse eingerichtet, das später im Laden angeboten werden soll. Besonders stolz ist man in Salang auf die eigene Schule. «Die Schulen der Regierung sind nicht so gut», sagt der dortige Vorstandsvorsitzende Gopal Thapa Magar. «Mit unserer eigenen Schule können wir den Bildungsstand unserer Kinder verbessern.»

Eindrucksvolle Zahlen

Die erfolgreiche Arbeit der SFCLs ist nicht auf Orte wie Kumpur oder Salang begrenzt. Landesweit hat die Organisation viel erreicht. Hervorgegangen aus einem 1975 gegründeten Pilotprojekt zur Reduzierung der Armut, gilt sie gegenwärtig als einer der wichtigsten Anbieter von Mikrofinanzdienstleistungen in Nepal. Die weit über 200 Genossenschaften der SFCL unterstützen heute fast eine Million Menschen in über 100‘000 ländlichen Haushalten. Aber nicht nur auf dem Land gibt es Menschen, die sich mit Mikrokrediten eine kleine Existenz aufbauen wollen, um die Armut hinter sich zu lassen. Auch in Nepals Hauptstadt Kathmandu ist der Bedarf gross. Dort hat «Manushi» ihren Sitz.

Manushi bedeutet «Starke Frau»

Der Name ist Programm. Denn es geht tatsächlich darum, Frauen zu stärken und ihnen gesellschaftliche Teilhabe einzuräumen. Manushi vergibt Mikrokredite ausschliesslich an weibliche Mitglieder. Und die nutzen das Geld als Startkapital eines kleinen Familienunternehmens: für den Aufbau von Hühnerfarmen, die Produktion und den Verkauf von Schokolade oder das Einrichten eines kleinen Obst- und Gemüseladens. Die Zinsen für die Kredite von Manushi belaufen sich auf 10 Prozent. Die Kredite werden ohne Sicherheiten gegeben. Das sei kein Problem, weiss die Direktorin des Mikrofinanzprogramms, Amlika Pradhan, zu berichten. «Die Rückzahlung der Kredite liegt bei 100 Prozent, Frauen sind eben verlässliche Kreditnehmer.»

Von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu Muhammad Yunus

Mikrokredite sind ein Instrument der Entwicklungspolitik. Sie sind keine neue Erfindung. Schon das vor 150 Jahren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen entwickelte Genossenschaftsmodell basiert auf dem Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzip, nach dem heute viele Mikro-Institute in den Entwicklungsländern arbeiten. Die Raiffeisen-Philosophie ist damals unter ebenso schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen entstanden, wie wir sie heute in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern vorfinden. 1976 gab es in Bangladesh ein derartiges Programm, das von Muhammad Yunus initiiert wurde, und aus dem 1983 die Grameen Bank hervorging. Im Jahr 2006 erhielten Yunus und die Grameen Bank für diese Bemühungen um die «wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten» den Friedensnobelpreis.

 

responsAbility Global Microfinance Fund

1983 war die Grameen-Bank durch Entwicklungshilfe-Gelder noch vollständig fremdfinanziert. Heute fliessen Geldmittel für Mikrokredite aus aller Welt mittels Kapitalmarkt-Produkten zu den Mikrofinanz-Instituten in den Entwicklungsländern. Mit dem responsAbility Global Microfinance Fund beginnt die Zukunft für viele Klein- und Kleinstunternehmer bereits heute. Dieser Anlagefonds ist der erste in der Schweiz, der in diese Mikrofinanz-Institutionen und damit in das unternehmerische Potenzial in Entwicklungs- und Schwellenländern investiert. Raiffeisen ist neben weiteren Partnern der Schweizer Finanzmarktes Gründungsmitglied der responsAbility. Das Fondsvolumen beträgt aktuell gegen 800 Mio. Franken und ist in 66 Ländern investiert. Aktuell sind die 5 grössten Mikrokredit-Institute mit je max. 2.5% Anteil die Khan Bank (Mongolei), die Compartamos Financiera und die Mibanco (beide Peru) sowie die AccessBank Azerbaijan und die FINCA Azerbaijan (beide Aserbeidschan). In Prozent des Fondsvolumens partizipieren folgende Länder am stärksten: Peru (8.0%), Kambodscha (6.1%), Aserbaidschan (5.5%), Armenien (4.8%) und Indien (4.5%).

Auch die ersten Raiffeisenbanken in der Schweiz waren vor über 100 Jahren im Grunde genommen nichts anderes als Mikrofinanzinstitute. Mit Mikrofinanz lebt der Raiffeisengedanke in den Entwicklungsländern weiter: Kredite dienen als Hilfe zur Selbsthilfe, was vielen Menschen unternehmerische Selbständigkeit ermöglicht und zugleich die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördert. Die aktuelle Rendite des Fonds (0.12%) mag bescheiden sein. Anteile responsAbility Global Microfinance Fund bereichern jedoch aufgrund ihrer Eigenart jedes Wertschriften-Portefeuille – mit bewusstem Verzicht auf 8% Rendite.

Urs Petermann, Vorsitzender der Bankleitung

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