Projektabbruch und Neustart unter neuen Vorzeichen

BUCHRAIN – Planung Erweiterung Alterszentrum Tschann wird abgebrochen

Der Gemeinderat Buchrain bricht die Planung der Erweiterung des Alterszentrums Tschann ab. Die finanziellen und betriebswirtschaftlichen Risiken waren zu gross. Zudem hat sich die Lage im Gesundheitswesen in den letzten Jahren massiv verändert.

Der Gemeinderat ist zur Einsicht gelangt, dass die grosse Erweiterung auf der letzten unbebauten Parzelle im Dorfzentrum auf diese Veränderungen nicht die richtige Antwort ist. Buchrain sieht grosses Potential in der grossflächigen Arealentwicklung des Dorfzentrums und startet deshalb ein neues Generationenprojekt.

Die Bevölkerung hat am 5. Juni 2016 dem Projektierungskredit zur Erweiterung des Alterszentrums Tschann in der Höhe von 1,915 Mio. Franken zugestimmt. Mit mehrjähriger Verzögerung konnte das Projekt Ende 2016 somit weiter bearbeitet werden. Bis Ende 2017 hätte das Vorprojekt vorliegen sollen. Im Sommer 2018 hätte die Bevölkerung über die notwendige Bebauungsplanänderung abstimmen sollen und die Realisierung war auf 2022 in Aussicht gestellt. Daraus wird nun nichts. Der Gemeinderat hat das Projekt, welches von Anfang in einem schwierigen Umfeld stand, endgültig abgebrochen.

Geänderte Rahmenbedingungen

Der Neubau für das Alterszentrum Tschann sollte die nächsten Jahrzehnte genügend Angebote für das Wohnen von betagten sowie hochpflegebedürftigen Menschen aus Buchrain in der letzten Lebensphase bieten. Schon früh nach Aufnahme der Vorprojektarbeiten, namentlich bei der Aktualisierung des Betriebskonzepts, stellte man fest, dass die im Jahr 2012 getroffenen Annahmen und Konzepte mittlerweile überholt waren und nicht mehr dem aktuellen Stand der Praxis entsprachen.

Fehlende Wirtschaftlichkeit

Eine erste Grobkostenschätzung vom Juni 2017 nannte eine Investitionssumme von 47 Mio. Franken. An ausserordentlichen Sitzungen von Projektausschuss, Gemeinderat und mit der breit abgestützten Kommission «Vorprojekt» wurden diese Kosten detailliert aufgezeigt, hinterfragt und mögliche Kostenreduktionen mit Fachspezialisten diskutiert. Mit den getroffenen Entscheiden konnte die Summe so auf 42.16 Mio. Franken (Kostenschätzung +/- 20 Prozent), reduziert werden. Die Baukosten hielten Benchmarks stand und es musste zur Kenntnis genommen werden, dass die ursprüngliche Zielgrösse von 30 Millionen unrealistisch ist. Die Bauteuerung lässt die Kosten ansteigen, aber ebenso verschärfte Vorschriften (Energiegesetz, Arbeitsgesetz, Behindertengleichstellungsgesetz, Brandschutz, Schutzraumvorschriften etc.) sowie steigende Bedürfnisse der Gesellschaft (Digitalisierung, W-LAN, Elektrifizierung, etc.). Bei den Kostenschätzungen wurde der Gemeinderat von einem externen Büro beraten und begleitet. Aufgrund der grossen Auswirkungen der Entscheide wurde auch für die Wirtschaftlichkeitsberechnungen externe Unterstützung eingekauft. Diese hat in detaillierten Berechnungen nachgewiesen, dass das Projekt nicht wirtschaftlich ist. Ohne Taxerhöhung resultiert ein durchschnittlich jährlicher Verlust von gegen einer halben Million Franken. Erst mit einer Taxerhöhung von mindestens Fr. 20.–/Tag würde das Projekt erfolgsneutral. Unter diesen Voraussetzungen ist das Projekt weder tragbar noch mehrheitsfähig. Zusätzliche interne Analysen haben bestätigt, dass nur ein maximales Investitionsvolumen, je nach Mietansätzen, von 23 bis maimal 35 Mio. Franken wirtschaftlich sein kann.

Rasante Entwicklung im Gesundheitswesen

Nebst den finanziellen Eckpunkten haben sich im Vergleich zum Projektstart auch weitere Themen verändert. Obwohl die Zahl älterer Luzernerinnen und Luzerner wächst, geht der Anteil der im Heim betreuten Personen zurück. Mehr und mehr lassen sich betagte Menschen ambulant pflegen. Ende 2016 wohnten insgesamt 6,8 Prozent der Luzerner Wohnbevölkerung im Alter ab 65 Jahren in einem Alters- oder Pflegeheim. Obwohl seit 2011 die Zahl älterer Personen im Kanton angestiegen ist, lebten diese 2016 seltener in einem Heim (2011 waren es 7,2 Prozent). Im ambulanten Bereich ist der Anteil der Klientinnen und Klienten dagegen gewachsen. 83 Spitex-Organisationen und selbständige Pflegefachpersonen leisteten 2016 im Kanton Luzern bei insgesamt 11 036 Klientinnen und Klienten ambulante Pflege und/oder Hilfe in Form von Hauswirtschaftsunterstützung oder Sozialbetreuung. Im Vergleich zu 2011 hat die Zahl der Klientinnen und Klienten in der Pflege um 30 Prozent zugenommen; in der Hauswirtschaft oder Sozialbetreuung um 6 Prozent. Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken. Dennoch werden nach wie vor in der Region zusätzliche Pflegebetten geschaffen, namentlich in Root und Adligenswil. Das Zentrum Höchweid hat im Sommer 2017 veröffentlicht, dass es aufgrund dieser Entwicklung 13 Pflegebetten und 4.5 Stellen abbaut. Es ist zu beobachten, dass seit rund zwei Jahren ein leichtes Überangebot an Pflegeplätzen herrscht. Verschiedene Experten warnen vor einem strukturellen Überangebot und spezifisch vor Neubauten.

Zunahme der Unsicherheiten

In den vergangenen Monaten haben verschiedene weitere Risiken ebenfalls zugenommen:

  • Einsparpotential ist aufgrund verschiedener Kostenreduzierungs-Runden begrenzt und nicht mehr ergiebig
  • Kostenschätzung +/- 20 Prozent mit Potential von Endkosten über 50 Mio. Franken
  • Steigende Zinsentwicklung verteuert Finanzierungskosten
  • Unsicherheit Gebäudeflexibilität. Das Gebäude wurde spezifisch als Altersheim geplant. Komplett verschiedene anderweitige Nutzungen lassen sich nicht bzw. nur mit vielen Kompromissen realisieren und sind dadurch nicht mehr wirtschaftlich.
  • Politische Risiken: Am 27. November 2017 haben die Stimmbürger von Ruswil die Zentrumsentwicklung abgelehnt. Grossinvestitionen müssen stark begründet werden können.
  • Alternativ-Nutzungen sind noch nicht politisch diskutiert und ohne klaren Nutzen.
  • Unsicherheit Wohnungsbau: Aktuelle Studien weisen bei zukünftigen Neubauten auf ein überdurchschnittliches Leerstandsrisiko hin.
  • Gewerbeflächen aktuell mit vielen Leerständen und eher tieferem Ertragspotential; Arztpraxis «Bueripraxis» hat sich in Leumatt etabliert
  • Unsicherheit Zeit: Aufgrund des derzeitigen Standes ist kein Baustart vor 2022 realistisch. Die vom Kanton bewilligten Plätze laufen 2020 aus.

Überzeugende Antworten auf all die Entwicklungen und Unsicherheiten fehlen. Die «Märkte» haben sich seit Projektstart stark verändert. Das Neubauprojekt enthält viele Risiken, der zukünftige Nutzen deckt diese Risiken nicht ab. Die Gefahr, dass man «unter Druck» falsch investiert, war latent vorhanden.

Der Gemeinderat ist sehr enttäuscht, aber gleichzeitig klar der Ansicht, dass das Projekt in dieser Form nicht realisiert werden kann. Zudem sieht er sich der Stimmbevölkerung und seinen Aussagen anlässlich der Botschaft zum Projektierungskredit verpflichtet. Dabei wurde in Aussicht gestellt, dass bei Nicht-Zustandekommen der Änderungen Bebauungsplan ein Projektabbruch erfolgt. Zitat: «Restlicher Projektierungskredit von Fr. 1‘520‘000.– ist nicht verbraucht». Somit dürfte man für diese erste Phase Kosten von Fr. 395‘000.– ausgeben. Gemäss aktueller Rechnung hat man diese Schwelle bereits überschritten. Da wenig Aussicht auf ein Gelingen des Projektes unter Einhaltung der zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen besteht, wird das Projekt per Ende 2017 abgebrochen. Der Sonderkredit «Erweiterung Alterszentrum Tschann» wird abgerechnet und nach Möglichkeit der Abstimmung vom 10. Juni 2018 der Bevölkerung vorgelegt werden. Das Projekt «Verselbständigung Alterszentrum Tschann» wird eingestellt.

Neustart Generationenprojekt

Aufgrund der Alternativ-Überlegungen zum Neubau Alterszentrum Tschann ist das Entwicklungskonzept für das Dorfzentrum Buchrain wieder in den Fokus gerückt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im gesamtheitlichen Entwickeln des Potentials im Dorfkern. Kernidee des Entwicklungskonzeptes ist, aus verschiedenen Elementen ein erlebbares, attraktives Dorfzentrum zu entwickeln (Entwicklung Restaurant Adler, Erneuerung Schule, Erneuerung Gemeindeverwaltung, Strassenprojekt, etc.). Weiterführende Überlegungen wurden bereits mit Projektentwicklern gemacht, Begehungen erfolgten im Herbst 2017. Aus fachlicher Sicht wäre ein grösserer Perimeter sinnvoll (inkl. Parzelle Tschann) und eine Realisierung der Zentrumsentwicklung erstrebenswert. Auch aus politischer Sicht ist die Weiterführung dieser Planungen wichtig; ist dies doch eines der Kernelemente der Gemeindestrategie 2030.

Dorfzentrum entsteht nicht von selbst

Das Dorfzentrum Buchrain entsteht jedoch nicht von alleine. Es sind vielfältige Massnahmen seitens Gemeinde und Privaten erforderlich, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Mit den verschiedenen Grundstücken verfügt die Gemeinde über wichtige Elemente, damit die Zentrumsentwicklung die volle Wirkung entfalten kann. Die Gemeinde Buchrain signalisiert Offenheit, einzelne Grundstücke im Baurecht an einen potentiellen Investor abzugeben. Die Stossrichtungen unterstützen folgende Zielsetzungen:

  • Vorwärtsstrategie bei der Entwicklung Dorfzentrum
  • Investition in die Zukunft als Antwort auf aktuell schwierige Finanzlage
  • Unterstützung Realisier- und Finanzierbarkeit Bedürfnisse im Bereich Alter
  • Langfristige Sicherung Einkaufszentrum Tschann durch Aufwertung Dorfkern und Alterszentrum Tschann
  • Nachhaltige Sicherung Landgasthof Adler aufgrund Erweiterungsmöglichkeit und Querfinanzierung
  • Gesamtheitliche Erneuerung/Ersatz der 70er-Jahre-Bauten im Dorfkern
  • Stärkung von Identität und Image der Gemeinde
  • Nutzung des aktuell guten Investorenklimas

Im Rahmen von Wettbewerbsverfahren und Baurechtsverhandlungen soll sich die Gemeinde ihre Ansprüche (Erweiterung Pflegebetten, Gemeindeverwaltung, Erweiterung Schule, etc.) optimal einbringen. Ziel ist es, im Dorfzentrum ein Generationenprojekt auszuarbeiten. Der Gemeinderat wird im Verlaufe des Jahres 2018 der Bevölkerung die konkrete Strategie sowie das weitere Vorgehen präsentieren.