«Schutzlos»

Das Ermittler-Duo Liz Ritschard (Delia Mayer) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) ermittelt im achten Luzerner «Tatort» im Luzerner Drogenmilieu. Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler.

Schauplatz Baselstrasse: «Chügelidealer» aus Afrika, Flüchtlingsdramen, Mord und ein Kommissar mit Migräne. Ein junger Nigerianer wird in Luzern ermordet aufgefunden, die Spuren führen ins Drogenmilieu.

Liegen die Ursachen für das Verbrechen tatsächlich in der Kriminalität? Oder vielleicht auch an der Schweizer Flüchtlingspolitik? Der Luzerner «Tatort» musste schon von Beginn an viel Kritik einstecken – zu Recht. Und in der Beliebtheitsskala im gesamten deutschsprachigen Raum bewegen sich die Schweizer Kommissare noch immer im unteren Bereich. Kein Wunder bei der Konkurrenz: Da sind die eher witzigen Ermittlerpaare, die knallharten Action-Bullen, die gesellschaftskritischen Milieu-Tatorte. Und in den 45-jährigen Geschichte der TV-Erfolgsstory gab und gibt es viele Höhepunkte, mit denen schwer zu konkurrieren ist.

Der Tatort aus Luzern hat sich dann anfangs auch ziemlich unausgereift gezeigt. Die Charaktere waren aufgesetzt, klischeehaf, die Themen und Handlungsstränge realitätsfremd und konstruiert. Die ersten Folgen erweckten oftmals den Eindruck, als handle es sich nicht um einen Krimi, sondern ein Public Relations-Produkt von Luzern Tourismus. Ein paar schöne Bilder vom Vierwaldstättersee und Polizisten, welche das ganze Spektrum der vergangenen Tatort-Ermittler abzudecken hatten – ein wenig tough, ein wenig humorvoll, ein wenig deprimiert, ein wenig lesbisch…

Qualität steigt

Die letzten paar Episoden des Schweizer Tatorts zeugen jedoch von steigender Qualität und Sorgfalt. So auch die achte Folge, die vergangenen Sonntag unter dem Titel «Schutzlos» ausgestrahlt wurde. Der Film spielt zu einem grossen Teil in der Baselstrasse und thematisiert die Problematik des Drogenhandels nigerianischer Asylanten in Luzern. Parallel dazu werden die verschiedensten Aspekte von Flüchtlingen, aber auch die Schweizer Asylpolitik behandelt. Natürlich war es schliesslich und endlich «nur» ein Krimi mit einem gewohnten «Wer war der Mörder»-Plot. Doch die beklemmende Stimmung, die Nebentöne und auch die mitgelieferten Informationen und Fakten haben «Schutzlos» durchaus sehenswert gemacht. Selbstverständlich wurde mit Klischees gearbeitet, manchmal gewollt, manchmal ungewollt. Und Anlass zu Kritik gäbe es auch dieses Mal. Jedoch muss man den Erzeugern dieser Folge zugestehen, dass sie sich hier auf ein schwieriges Terrain begeben und ihre Aufgabe im grossen Ganzen gut gemeistert haben.

 Von den Guten und den Bösen

Im Vordergrund stehen für einmal nicht die Ermittler, die «Helden», sondern die Opfer und das Thema. Endlich auch eine Handlung, die tatsächlich etwas mit Luzern (und mit der Schweiz, beziehungsweise mit Europa) zu tun hat. Das Lokalkolorit wird zwar – wie in allen Tatortreihen – bedient, jedoch nicht zwecks touristischem Anreiz, sondern zwingendermassen. Inwieweit die «Guten» und die «Bösen» überzeichnet dargestellt wurden und wie realistisch oder unrealistisch das Milieu und die Handlung auch sein mögen: Mit Verkürzungen und Vereinfachungen muss man bei einer TV-Produktion in Sachen Krimi natürlich rechnen. Doch den Machern des neuesten Luzerner Tatort ist es gelungen, zwei Seiten einer Medaille zu zeigen. Und beide Seiten sind dunkel. Natürlich gilt es den Drogenhandel zu kritisieren, die Halbwelt mit ihren Bösewichten und Opfern zu illustrieren. Aber als Gegenpart stehen auch die Asylpolitik und die Bürokratie am Pranger. Dem Zuschauer wird es selber überlassen, unter welchen Gesichtspunkten er diesen Tatort anschaut. Dass die «Guten» durchaus eine Meinung haben und diese auch vertreten – manch einer würde da wohl wieder über das «linke“ Leutschenbach schimpfen – war spürbar, aber nicht übertrieben. Neutralität hat in der Kultur eh nichts zu suchen.

Quote lag im Keller

Schade ist, dass die Quote für diesen Tatort extrem niedrig war. Man mag das dem schönen, heissen Wetter an diesem Sonntagabend zuschreiben. Obwohl «Schutzlos» sicherlich fern von einem Dokumentarfilm einzustufen ist, kann man dahingehend doch eines hoffen: Zuschauer, die diesen Tatort gesehen haben und in nächster Zeit in Luzern – sei es an der Baselstrasse, am Bahnhof oder sonst wo – Flüchtlingen, Asylanten, Menschen anderer Kulturen begegnen, werden sich, so bleibt zu hoffen, an «Schutzlos» erinnern, sich und ihre manchmal voreingenommene Haltung vielleicht hinterfragen. Und damit hat dieser Tatort – neben dem üblichen Unterhaltungswert – viel erreicht.

Stefan Jäggi

Das Ermittler-Duo Liz Ritschard (Delia Mayer) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) ermittelt im achten Luzerner «Tatort» im Luzerner Drogenmilieu. Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler.
Das Ermittler-Duo Liz Ritschard (Delia Mayer) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) ermittelt im achten Luzerner «Tatort» im Luzerner Drogenmilieu. Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler.