Positive Bilanz nach 10 Jahren Kindes- und Erwachsenenschutzrecht

Misshandelte Kinder, zerstrittene Eltern oder Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen – seit bald zehn Jahren werden Menschen in schwierigen Lebenslagen durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden KESB unterstützt. Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz KOKES zieht eine positive Bilanz, schlägt aber auch Verbesserungen vor: Beiständ/innen brauchen mehr Zeit für Gespräche mit Betroffenen, und die Bevölkerung braucht mehr Informationen zu den Aufgaben und Arbeitsweisen der KESB.

Am 1. Januar 2013 ist das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft getreten. Heute und morgen treffen sich über 500 KESB-Mitarbeitende, Beiständ/innen und Mitarbeitende von Institutionen auf Einladung der KOKES zu einer nationalen Fachtagung in Freiburg zu einem Rück- und Ausblick.

Das Interesse von Kindern und Erwachsenen im Zentrum

Vor 2013 wurden Massnahmen in grossen Teilen der Schweiz durch den Gemeinderat angeordnet, der zugleich Vormundschaftsbehörde war. «Im Gemeinderat haben oft Menschen ohne spezifische Fachkenntnisse und oft mit persönlichem Bezug zu Betroffenen entschieden, ob zum Beispiel der Sohn des Dorfbauern in ein Heim kommt oder die Mutter des Sportvereinspräsidenten einen Beistand erhält», sagt Kathrin Schweizer, Präsidentin der KOKES. «Dazu kam der finanzielle Druck: Oft wurde aus Angst vor hohen Kosten nicht die Massnahme angeordnet, die für ein Kind oder eine erwachsene Person am besten gewesen wäre, sondern jene, die die Gemeinde am wenigsten kostete.»

Per 1. Januar 2013 wurde per Gesetz das Interesse der schutzbedürftigen Kinder und Erwachsenen ins Zentrum gestellt. Dieses setzt voraus, dass Menschen ohne Voreingenommenheit, dafür mit spezifischen Fachkenntnissen, Entscheide fällen. Aus diesem Grund wurde die KESB eingeführt. «Seither wird jeder Entscheid von drei Fachpersonen mit beispielsweise sozialer, psychologischer oder juristischer Ausbildung gefällt, und jeder Entscheid ist gerichtlich überprüfbar. Die Professionalisierung war richtig
und rückblickend ein wichtiger sozialpolitischer Fortschritt», so Diana Wider, Generalsekretärin der KOKES. In der Westschweiz waren die Behörden bereits vor 2013 grösstenteils als professionelle Gerichte organisiert – dort besteht die Herausforderung bei der Umsetzung der Interdisziplinarität.

Kinder und Erwachsene stärker einbeziehen

Das Kindes- und Erwachsenschutzrecht gibt vor, dass Kinder und Erwachsene stärker einbezogen werden (Recht auf Partizipation) und stärker mitbestimmen können (Recht auf Selbstbestimmung). Erhält jemand eine Beiständin, entscheidet diese z.B. nicht allein, ob die durch sie unterstützte Person die Zusatzversicherung kündigen soll, sondern bezieht sie in die Überlegungen mit ein (Partizipation) und sagt ihr, dass sie damit Geld sparen könnte. Wenn immer möglich, entscheidet die Person am Ende selbst, ob sie das nun möchte (Selbstbestimmung).

Damit der Einbezug und die Selbstbestimmung gewährt werden können, braucht es genügend Ressourcen. Hier sieht die KOKES Handlungsbedarf. Ein Beistand oder eine Beiständin betreut oft über 80 Menschen gleichzeitig, das bedeutet im Durchschnitt lediglich 1.5 Std. im Monat pro Person. Laut KOKES sollten es maximal 60 Erwachsene oder 50 Kinder sein. Rückmeldungen, dass zu wenig Zeit vorhanden ist, erhält auch die Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz KESCHA. «Es ist ja nicht so, dass sich KESB und Beiständ:innen die Zeit nicht nehmen wollen. Sie können es schlicht nicht», sagt KESCHA-Präsident Guido Fluri. «Kantone und Gemeinden sind gefordert, zu handeln und die nötigen Ressourcen zu schaffen.»

Die Bevölkerung braucht mehr Informationen

Die Zusammenarbeit zwischen KESB-Mitarbeitenden, Beiständ:innen und Institutionen funktioniert aus Sicht der KOKES unterdessen gut. Optimierungsbedarf sieht sie unter anderem betreffend Information der Bevölkerung, da alle einmal in eine schwierige Lebenslage kommen können. Aktuell werden rund 145’000 Menschen im Rahmen von KESB-Massnahmen begleitet und unterstützt. «Dass jemand verunsichert ist, wenn die KESB ins Spiel kommt, ist nachvollziehbar. Alle möchten ihr Leben und ihren Alltag selber im Griff haben. Doch es gibt Lebenslagen, in denen jemand Unterstützung braucht»,
so KOKES-Präsidentin Kathrin Schweizer.

Um Unsicherheiten abzubauen, soll in Zukunft (noch vermehrt) aufgezeigt werden, was die KESB wie machen und welche Aufgaben eine Beistandsperson hat. Diese Sensibilisierung ist wichtig, damit in einer herausfordernden Situation ein guter Austausch zwischen Kindern/Erwachsenen und KESB-Mitarbeitenden sowie Beiständ:innen stattfinden kann. Diverse KESB sind in dieser Hinsicht bereits aktiv. Die KESB Stadt Zürich gibt beispielsweise an Mediengesprächen mit Fall-Beispielen Einblick in den Arbeitsalltag. Die KESB im Kanton Bern erklären ihre Arbeit mit Broschüren und Erklärvideos, die KESB Basel-Stadt mit einem Flyer und die KESB Winterthur-Andelfingen produziert sogar Podcasts.

Zwei Drittel Erwachsene, ein Drittel Kinder

Zwei Drittel aller Menschen, die durch KESB und Beiständ:innen unterstützt und begleitet werden, sind hilfsbedürftige Erwachsene. Häufigste Gründe für die behördliche Unterstützung sind psychische Probleme oder Probleme im Umgang mit Geld/Administration. Kinder machen einen Drittel der Fälle aus. Häufigster Grund ist ein Streit unter Eltern, die sich betreffend Besuchsrecht nicht einigen können. pd 


 

KESB, Beiständ:innen, KOKES und KESCHA – wer macht was?

KESB
Je nach Kanton ist die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Behörde. Sie schützt und kümmert sich um hilfsbedürftige Kinder und Erwachsene und entscheidet, wie diese im Alltag begleitet und unterstützt werden können. Jeder Entscheid wird von drei Fachpersonen gefällt, die Erfahrung und Ausbildung beispielsweise im sozialen, psychologischen oder juristischen Bereich haben. Jeder Entscheid der KESB kann mittels Beschwerde von einem unabhängigen Gericht überprüft werden.

Beiständ:innen 
Beiständ:innen setzen Massnahmen um, die durch die KESB angeordnet wurden. Sie begleiten und unterstützen hilfsbedürftige Kinder und Erwachsene. Je nach Situation beauftragt die KESB eine private Beistandsperson (insb. Angehörige), eine Fachbeistandsperson (z.B. eine Anwältin) oder eine Berufsbeistandsperson (führt hauptberuflich Beistandschaften). Berufsbeiständ:innen haben in der Regel eine Ausbildung im sozialen Bereich.

KOKES

Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz KOKES ist eine interkantonale Fach- und Direktorenkonferenz. Ihre Mitglieder sind die 26 Kantone. Die KOKES koordiniert die Zusammenarbeit der Kantone untereinander, mit dem Bund und nationalen Organisationen. Sie führt Fachtagungen durch, erhebt Statistik-Zahlen und gibt fachliche Empfehlungen ab.

KESCHA
Die Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz KESCHA ist ein Informations-/Beratungsangebot für Personen, die Fragen zur KESB oder zum Beistand haben und sich von einer unabhängigen Stelle beraten lassen wollen.