Abstimmung über die Initiative «Für Mundart im Kindergarten»
Am 22. September 2013 wird im Kanton Luzern über die Initiative «Für Mundart im Kindergarten» abgestimmt. Die Initiative lässt verschiedene Bildungsverständnisse und Relevanzvorstellungen aufeinanderprallen.
«Die Mundart wird zunehmend zurückgedrängt», so lautet die Befürchtung der Jungen SVP und der SVP, die der Initiative «Für Mundart im Kindergarten» den entscheidenden Anstoss gegeben hat. Am kommenden Sonntag, 22. September, wird im Kanton Luzern darüber abgestimmt – eine Abstimmung, die für viele Kontroversen sorgt. «Auch unter den Lehrpersonen wird die Initiative unterschiedlich beurteilt», so eine langjährige Kindergartenlehrperson einer Rontaler Gemeinde. Der Lehrplan schreibt vor, dass die Kinder spielerisch an die Standardsprache heranzuführen sind. Gemäss den vorgegebenen Empfehlungen sollte der Unterricht jeweils zu zwei Dritteln auf Hochdeutsch und zu einem Drittel auf Schweizerdeutsch abgehalten werden. «Dies wird individuell gehandhabt, je nach den pädagogischen Bedürfnissen der Gruppe», so die Lehrperson. «Zu Beginn des Kindergartenjahrs spreche ich oft mehr Mundart, ab Mitte Jahr nimmt der Anteil der Standardsprache zu.» Den Kindern steht es frei, ob sie auf Hochdeutsch oder in Mundart antworten wollen. Es kommt nicht selten vor, dass die Kinder in ihrer Klasse freiwillig auf Hochdeutsch antworten oder so auch untereinander sprechen. «Für die Kinder ist Hochdeutsch nichts Fremdes. Sie hören es zu Hause im Fernsehen.» Die Lehrperson geht davon aus, dass sich durch die Annahme der Initiative im Unterricht nicht viel ändern würde. «Hier wird viel Rauch um nichts gemacht. Die Initiative möchte den Schwerpunkt der Unterrichtssprache einfach vom Hochdeutschen zur Mundart umkehren. Im Vordergrund sollte jedoch stehen, dass die Kindergartenlehrpersonen möglichst gut auf die pädagogischen Bedürfnisse der Kinder eingehen können.»
Mehr oder weniger grosse Relevanz
Auch SP-Mitglied und Teil der Ebikoner Bildungskommission, Thomas Aregger, misst der Initiative keine grosse Relevanz zu. Dies zeigt ihm die Debatte im Parlament: «Der Kantonsrat hat der Initiative eine deutliche Absage erteilt.» Ganz anders sieht das Anian Liebrand, Präsident des Initiativkomitees und Vizepräsident der Jungen SVP Schweiz: «Das Thema lässt niemanden kalt. Es ist für die Bürger leicht verständlich, worum es geht, und die Mundartfrage betrifft jede und jeden. Viele Luzernerinnen und Luzerner möchten eine Lanze für das Kulturgut Mundart brechen und unterstützen daher die Initiative.» Dieses Kulturgut, die Schweizer Dialekte, soll durch die Initiative erhalten bleiben. «Die Schweiz darf doch nicht das einzige Land auf der Welt sein, das freiwillig die eigene Sprache im Kindergarten an den Rand drängt!» Diese Befürchtung erachtet Thomas Aregger als völlig unberechtigt. Bei Mails, SMS oder auf Facebook sieht er, dass die Kinder und Jugendlichen wieder vermehrt Mundart benutzen. «Eine Sprache, die lebt, ist immer in Bewegung und Veränderung. Von daher ist auch die Mundart immer mit Einflüssen von aussen konfrontiert.» Zudem zweifelt Aregger an der Wirkung der Initiative: «Kinder sind sowieso schon früh mit Hochdeutsch konfrontiert – in verschiedensten Medien, vom Bilderbuch bis hin zum Fernsehen.» Für Anian Liebrand wäre die Initiative zumindest einmal ein Schritt in die richtige Richtung: «Klar lässt sich die Pflege der Sprache nicht auf den Kindergarten beschränken, aber die grundsätzliche Verankerung der Mundart im Kindergarten hat nur Vorteile.»
Der heute bestehende Lehrplan wurde 2006 als Reaktion auf die PISA-Studie eingeführt. Die Befürworter der Initiative weisen auf Studien hin, die den Nutzen von Frühhochdeutsch im Kindergarten infrage stellen. Für Anian Liebrand ist deshalb klar: «Hochdeutsch im Kindergarten bringt keinen Nutzen, weshalb es auch nicht nötig ist.» Eher ist er der Meinung, dass Fremdsprachen desto besser erlernt werden, je besser die Kompetenzen in der Erstsprache, also der Mundart, sind. Laut Thomas Aregger gibt es auch Studien, die diese These widerlegen. Vielmehr glaubt er, dass die Verwendung einer zweiten Sprache, nebst der Muttersprache, stärker ein Bewusstsein für die eigene Sprache fördert und entwickelt. Für Aregger ist die Initiative Ausdruck der grundsätzlichen Haltung, ein traditionelles Heimatbild gegenüber jedwelcher Andersartigkeit zu bewahren. Für Liebrand ist die Initiative eine Chance, das bedrohte Kulturgut «Mundart» zu erhalten und für fremdsprachige Kinder eine günstige und effiziente Integrationsmassnahme zu schaffen.
Saverio Genzoli