Im Tintenfassmuseum wird Schrift lebendig

Museumsbesitzer Erhard J. Durrer mit einem seiner ganz seltenen Exponate.

Das Tintenfassmuseum in Adligenswil ist mehr als eine Augenweide, nicht nur für gängige Museumsbesucher. Offen für alles, was die Geschichte des Schreibens von der Antike über das Mittelalter bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Über 2000 Exponate -Tintengefässe, Schreibzeug und Handschriften- dokumentieren die jahrhundertalte Geschichte. Darob würde auch Thot – Gott der Schreiber und Schriften- staunen, was er der Nachwelt hinterlassen hat.

Das hat sich der damals 21-jährige Heizungszeichner Erhard Durrer nicht träumen lassen, dass er dereinst Museumsgeschichte auf hohem Niveau schreiben würde. «Im Brocki Schwyz habe ich so nebenbei zwei hölzerne Tintengefässe gesehen – und gekauft.» Sie sind verstaubt in einem Büchergestell herumgelegen, bis ihn ein Bekannter fragte, ob er denn solche Sachen sammle. «Aus meinem Nein, sicher nicht, wurde rund 30 Jahre später ein Ja, da brach bei mir die Sammlerleidenschaft aus», sagt der heute 80-jährige Museumsbesitzer Erhard Durrer. Begonnen hat es mit Angeboten aus der Antike und dem römischen Reich. Heute ist er stolzer Besitzer von über 2000 historisch belegten Exponaten und sein Museum gilt als weltweit grösstes und umfangreichstes seiner Art. Selbst Fachleuten ist nur in Deutschland ein ähnlich grosses Museum dieser Art bekannt.

Seltene Schreibgarnitur mit Meissen Porzellanfiguren, ca. 1745; Tintengefäss und Salzstreuer, rundes Deckelgefäss für Siegellack.

 

Vom Flohmarkt in Galerien

«Vorerst habe ich auf Flohmärkten, bei Trödlern und Brockenstuben nach schönen Stücken gesucht, doch das genügte mir auf die Dauer nicht mehr, ich wollte mit seltenen Stücken meine Sammlung aufbauen. Und edle, antike Exponate konnte ich nur in Auktionshäusern und an Messen kaufen, in Wien oder München fand ich ab und zu, was mir passte, Händler kam auf mich zu und hielten ganz seltene Exponate feil», erinnert er sich. Und nach dem Verkauf seiner Firma Durrer Technik fand er Zeit, sich seinem ehemaligen Hobby mit noch mehr Leidenschaft zu widmen. Was dann im Jahre 2004 zur Eröffnung seines Museums führte.

Mazarins’ lederne Schreibschatulle

Tintenfässer alleine genügten nicht mehr, er wollte der Schrift mit all’ ihren Facetten auf den Grund gehen, also kamen Schreibzeug und echte Schriften dazu. Dafür hat er viel Zeit geopfert, er besuchte Kurse und setzte sich mit alten Schriften auseinander, lernte sie lesen – und deuten. Erstaunt nicht, dass er alles über Schreibergott Toth kennt, Exponate aus altägyptischer Zeit besitzt und vor allem über jedes noch so kleine Detail Auskunft geben kann. Und nimmt ein besonderes Exemplar aus einer der vielen Vitrinen – und seine Augen leuchten. «Darauf bin ich besonders stolz, das war Jules Mazarins’ lederne Schreibschatulle, die der Kardinal des Sonnenkönigs und Frankreichs damaliger Minister auf seinen Reisen verwendet hat, hier ist das Königswappen 14 Mal in Gold aufgeprägt. Datiert mit 1650.» Es ist übrigens das weltweit einzige Exponat und ist in bestem Zustand vorhanden. Er legt es wieder sorgfältig hinters Glas. Gleich neben Briefe von Napoleon an seine Geliebte oder
Bestell- und Kaufurkunden für Kanonen, die Näpi bestellte, oder umfangreiche Briefe, die einen Teil der französischen Revolution beschreiben, über Schweizer Söldnern in fremden Diensten oder Adelsbriefe, neben alten Schriften aus China, Persien, Ägypten und Europa.

Seine damalige Frage «Wie ist Schrift entstanden» wurde zum Virus, er widmete auch diesen Fragen viel Herzblut, Durrer kann die Herstellung von ersten Tinten erklären, hat Rezepte dazu in Vitrinen und uralten Büchern. «So kam ich Vielem immer näher, sehe Verbindungen zu verschiedenen Themen und uns so ergeben sie für mich ein etwas abgerundetes, aber ganz klar nicht vollständiges Bild, das wird nie fertig», lacht er.

Rolf Willimann

Grabbeigabe eines Schreibers, Osmanisches Reich ca. 5./6. Jhdt. n. Chr.

 

Das Tintenfass Museum Adligenswil, im Winkelbühl 3, ist per ÖV ab Luzern mit dem Postauto Linie 73 bis Haltestelle Sagi Winkelbühl erreichbar. Es sind Führungen
jederzeit nach Vereinbarung möglich; Anfragen per Mobile +4179 641 55 53.
Siehe auch: www.tintenfassmuseum.ch / Email: erhard.durrer@bluewin.ch


Thot – Gott der Schreiber und Schriften
Der Gott Thot ist hauptsächlich der Gott des Schreibens, der Rechenkunst und des Wissens. Er soll den Menschen Sprache und Schrift geschenkt haben und ist Schutzgottheit von Archiven und Bibliotheken, wie dem «Haus des Lebens», wo das Wissen der Ägypter aufbewahrt wurde.

Neben seiner Aufgabe Wissen zu schützen, geht aus Thot die Rede und Sprache hervor. Er ist quasi das Gefäß, aus dem eine gute Rede und Sprache kommt. Thot erfindet die Sprache. Das galt nicht nur für die Sprache der Ägypter, sondern auch für alle Sprachen fremder Völker.

Rowi

 

Mit diesen beiden hölzernen Tintenfässli aus dem Brocki Schwyz hat 1961 alles angefangen. Bilder: rowi