«Es gibt sie doch, die offene Schweiz»

BUCHRAIN – Vergangene Woche stand der Kanton Luzern im Zeichen der «Aktionswoche Asyl». Ganz im Sinne der Losung «Auf der Flucht – bei uns angekommen?» hat sich auch das Rontal beteiligt. Engagierte Menschen aus verschiedensten Institutionen haben sich zusammengetan und ein vielfältiges Programm auf die Beine gestellt, das sich sehen lassen konnte.

Auch Buchrain widmete dem Projekt «Asylwoche» zwischen dem 10. und dem 15. Juni viel Zeit, Energie, Mühe und Begeisterung. Freiwillige, jung und alt, aus den verschiedensten Organisationen engagierten sich mit Herzblut, Kreativität und fleissiger Arbeit um ein gelungenes, facettenreiches Programm zu gestalten und umzusetzen,. Es sollte nicht nur dem Thema an sich gerecht werden, sondern auch nachhaltig wirken.

Ein farbiges Programm

Initiert von zwei jungen Mitgliedern der Pfadi Pulverturm Ebikon-Buchrain beteiligten sich die reformierte wie auch die katholische Kirche, die Jugendanimation, der Blauring, die Migrationsfachfrau, das Café Grüezi und die Institution Frauenimpuls. Und so vielfältig die Veranstalter und die vertretenen Nationalitäten waren, so abwechslungsreich waren auch die durchgeführten Anlässe: Vorträge, Spielgruppen, Ateliers, Erlebnisweg, Turnabend, Filmvorführung, interreligiöser Gottesdienst um nur einige aufzuzählen. Im Mittelpunkt aber standen jeweils die Begegnungen.

Täglich lesen wir von Asylanten, von Migranten – meist sind diese Begriffe vorbelastet. Von den Politikern, von den Medien, vom Stammtisch. Doch was wissen wir wirklich über die «Fremden»? Wir lesen über sie, vielleicht sehen wir sie auch. Aber kennen wir sie auch? Kennen sie uns? Die Schweiz mit ihren vier Sprachen, den vielen Kantonen und den unterschiedlichen Kulturen ist es ja von je her gewohnt, eher nebeneinander als miteinander zu existieren. Doch gerade in unserem eigenen Umfeld, in den eigenen Gemeinden ist es eigentlich erschreckend, wie wenig wir uns mittlerweile um unseren Nächsten kümmern. Wohlstand, die veränderte Arbeitswelt (Pendeln usw.) und die neue Wohnkultur haben dazu geführt, dass wir uns immer mehr entfremden, individueller und isolierter leben.

Hemmschwelle ist hoch

Das Leben als Schweizer unter Schweizern hat sich daher schon stark verändert. Wie schwer es dann erst Menschen aus fremden Kulturen haben, sich bei uns zu integrieren, liegt auf der Hand. Oftmals bestehen Sprachbarrieren. Die Stigmen und Vorurteile, welchen man als «Flüchtling» automatisch ausgesetzt ist. Der unsichere Status, die unsichere Zukunft, mit welcher Asylanten in der Schweiz leben müssen. Nie zu wissen, ob und wann sie wieder zurück müssen. In Länder, in denen oftmals Armut herrscht, Krieg oder menschenverachtende Gesetze. Kein Wunder also, dass die Hemmschwelle gross ist, auf die Schweizer zu zugehen. Auf der anderen Seite fällt es uns «Eingeborenen» auch nicht leicht, von uns aus Kontakte zu schliessen. Klar, wir sehen die Tagesschau, lesen die Zeitungen. Und Flüchtlinge, Asylanten – auch deren Schicksale, aber auch die Rhetorik gegen sie (Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminelle, fremde Religionen und Traditionen usw.) – sind in unserem Bewusstsein. Aber die wenigsten von uns pflegen Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften. Auch wenn der Wille da wäre, fehlt es oft an Gelegenheit und auch Initiative.

 Aktionswoche schafft Kontakt

Eine Veranstaltung wie die «Aktionswoche Asyl» ist daher ein perfektes Vehikel, um diese Hemmschwellen zu überwinden. Gerade die Vielfältigkeit der Veranstaltungen im Rontal haben bewiesen, dass ein «Aufeinanderzugehen» von beiden Seiten das Natürlichste auf der Welt ist, wenn man sich nicht auf die Gegensätzlichkeiten, sondern auf die Gemeinsamkeiten konzentriert. Am einfachsten haben es natürlich die Kinder, denn sie folgen einfach ihren Instinkten und sind noch frei von Vorurteilen. Was immer auch unsere Nationalitäten, Kulturen, Religionen und Erfahrungen trennt – am Ende sind wir alle Menschen, haben dieselben Wünsche und Träume für uns und unsere Familien. Und überall auf dieser Welt wird gelacht, geweint, gelitten und genossen. Aber dass die Unterschiede zwischen uns nicht so gross sind, wie man manchmal meinen könnte, das lernt man erst richtig durch persönliche Begegnungen.

 Den ersten Schritt machen

Die Veranstalter der «Aktionswoche Asyl» Buchrain wünschen sich, dass dieser Anlass als Initialzündung dienen wird. Während der vergangenen Tage wurden schon viele Bekanntschaften, ja Freundschaften geschlossen. Kontakte, welche sich künftig intensivieren und vermehren werden. Aber dabei darf es eben nicht bleiben, Nachhaltigkeit ist gefragt. Auch Menschen, die ansonsten kaum aufeinander zugehen zusammenzubringen, ist das Ziel. Und dafür braucht es in Zukunft vermehrt Anlässe, die auf Gemeinsamkeiten gründen. Musik, Kulinarisches, Geschichtliches, Politisches, Kulturelles, Sport, Vereine… Sowohl Schweizer wie auch Fremde müssen jeweils den ersten Schritt machen, wenn sie ihren Nachbarn kennen lernen wollen. Aber organisierte Veranstaltungen von beiden Seiten her können diesen ersten Schritt erleichtern und sollten daher vermehrt stattfinden.

Was bleibt?

Was bleibt von dieser Woche? Die Erkenntnis, dass wir doch mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätzlichkeiten haben, egal von woher wir auch kommen. Und das, was uns unterscheidet, oftmals ganz einfach eine Bereicherung ist. Statt nur über Kosten zu sprechen oder allfällige Probleme, könnten wir uns ja auch ein wenig mehr auf das Teilen von Wissen, Erfahrungen, aber auch Musik und Kulinarisches konzentrieren. Heute, wo Pizza und Döner zum Schweizer Alltag gehören, müssten wir uns vielleicht wieder einmal vor Augen führen, wie das negative Echo damals war bei den ersten italienischen und türkischen Saisoniers und Einwanderern – und wie sich dies über die Jahre hinweg verändert hat. Und in Sachen Asyl sollten wir uns vielleicht weniger um Kosten und Problemchen sorgen, als vielmehr stolz darauf sein, dass wir Menschen helfen können, die nicht das Glück hatten, in so einem sicheren, wohlhabenden Land zu leben, wie wir es tun. Sondern wegen Armut und Gewalt alles aufgegeben haben, was sie hatten, und mutig die Reise in eine unbestimmte Zukunft angetreten sind.

Die vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen, welche an der «Aktionswoche Asyl» teilgenommen haben beweisen, dass sie gerne bereit sind, auf uns zuzugehen. Und die engagierten Organisatoren – vielfach sehr junge Menschen – haben gezeigt, dass es eben doch eine offene Schweiz gibt.

Stefan Jäggi

Bilder: Robert Knüsel/Simon von Niederhäusern