LUZERN – Am Aktionstag Alkohol vom 24. Mai informierten Beratungsstellen, Apotheken und Hausärzte zum Thema «Dreimal täglich – wenn Alkohol zum Medikament wird».
fw. Im Kanton Luzern wurde der Aktionstag Alkohol von folgenden Partnerstellen mitgetragen: Akzent Prävention und Suchttherapie, Alano-Verein Zentralschweiz, Anonyme Alkoholiker, Blaues Kreuz Aargau/Luzern, Dienststelle Gesundheit und Sport des Kantons Luzern, Luzerner Apotheker Verein LAV, Selbsthilfe Luzern Obwalden Nidwalden, SIP Stadt Luzern, SoBZ Sozial-BeratungsZentren im Kanton Luzern, Vereinigung Luzerner Hausärzte VLuHa.
Hilft Alkohol bei Unsicherheit oder Problemen?
Ein wenig vielleicht schon. Und als Genussmittel kann Alkohol sehr wohl getrunken werden. Wenn aber jemand sagt: «Ich brauche den Alkohol, weil ich meine Ängste sonst gar nicht ertragen könnte», wird Alkohol als Medikament genutzt. Dann besteht das Risiko, dass sich die Grundproblematik verschlimmert und das Risiko einer Suchterkrankung steigt. Statt im Alkohol sollte man wegen den anstehenden Problemen Hilfe suchen – zum Beispiel bei einer Beratungsstelle wie dem SoBZ. Als Experiment kann man auch zwei oder mehr alkoholfreie Tage planen und schauen, wie man sich dabei fühlt.
Hilfe suchen – Hilfe annehmen
59-jährig, wuchs Elsbeth M. (Name von der Redaktion geändert) als Tochter eines alkoholkranken Vaters auf, der aber immer arbeitsfähig war. Sie lernte früh, dass man nicht über (Alkohol-)Probleme spricht, sich sogar dafür schämt. Viel Alkohol zu trinken empfand sie als normal. Sie nutzte Alkohol, um mit Herausforderungen und Problemen umzugehen. Wie es dazu kam und welche Folgen dies hatte, erzählt sie im Interview mit Felix Wahrenberger von Akzent Prävention und Suchttherapie Luzern.
Wie kam es dazu, dass Sie Alkohol als «Medikament» nutzten?
Als ich von einer Landgemeinde ins grosse Zentrumsgymnasium eintrat, musste ich meine Unsicherheit überdecken. Etwas Alkohol half mir dabei. Viel später nutzten ich und mein Mann Alkohol als Belohnung, wenn wir etwas erreicht hatten und tranken ein bis zwei Flaschen. Als ich am Rande eines Burnouts stand und Schlafstörungen hatte, nutzte ich Alkohol um einschlafen zu können. Später nahmen die Probleme überhand und ich deckte sie weiterhin mit Alkohol zu.
Welche Nebenwirkungen hatte der Alkohol?
Der Kater am Morgen gehört natürlich dazu. Nebenwirkungen sind die Gewöhnung und vor allem die Steigerung der Dosis. Der Alkohol nützt irgendwann nichts mehr. Die Probleme sind auch nicht weg. Nach dem schnellen Einschlafen durch Alkohol wachte ich nachts um zwei Uhr wieder auf und wälzte die Probleme noch stärker. Es entwickelte sich eine Alkoholabhängigkeit und es benötigte sehr viel Kraft, im Alltag zu funktionieren. Das Belohnungszentrum im Hirn war ganz auf Alkohol ausgerichtet. Es ging lange, bis ich nach der Sucht wieder Freude hatte.
Kam es zu Wechselwirkungen mit Medikamenten?
Zum Glück nicht. Medikamente sind nicht frei erhältlich und mein Arzt war bezüglich Medikamentenabgabe sehr zurückhaltend. Das Risiko hätte bestanden, dass ich in der damaligen schwierigen Situation Medikamentenabhängig geworden wäre. Die Erhältlichkeit ist ein wichtiger Faktor um vor Sucht zu schützen.
Wie entwickelte sich das Trinken weiter?
Ich begann mehr zu trinken, als der Druck und die Probleme grösser wurden. Schon vor dem Znacht etwas trinken, dann am Feierabend, dann verschob ich den «Feierabend» nach vorne, wenn keine Kunden mehr im Geschäft zu erwarten waren. Es kam dadurch auch zu peinlichen Situationen. Flaschen habe ich versteckt und täglich entsorgt. Ich war überzeugt, dass ich kein Problem hatte und dass ich aufhören könnte zu trinken, wenn das nötig wäre. Eingekauft habe ich in verschiedenen Geschäften der Region um nicht aufzufallen. Den Alkoholkonsum zu vertuschen wurde mir das Wichtigste, das Problem selbst habe ich ausgeblendet. Meine Ehe litt, ich wurde schwermütig, alles war sinnlos, ich funktionierte nur noch: Am Morgen der Kater, dann Duschen, Augenringe weg, viel Kaffee, funktionieren und auf den Abend und damit den Alkohol warten.
Wie kam es zur Veränderung, um mit dem Trinken aufzuhören?
Zeitungsberichte zum Thema habe ich überblättert. Im Internet schaute ich einmal, was eigentlich «normale» Mengen beim Trinken wären. Ich versuchte auch kontrolliert zu trinken, das ging aber nicht, ich habe mich selbst belogen. Vom Hausarzt wurde ich auch angesprochen, ich schob aber Finanz- und Eheprobleme vor. Am Tiefpunkt meiner Sucht habe ich sogar meine Tochter angelogen. Sie redete dann Klartext und sagte, ich sei ein «Alki». Da wurde ich gleich nüchtern. Als ich bald darauf die Hotline der AA (Anonyme Alkoholiker) anrief, sagte die Frau am Telefon: «Ich weiss, wie es dir geht». Das tat mir gut. Ich besuchte dann eine Gruppe der AA und war überrascht, dass es dort gepflegte und redegewandte Frauen hatte. Ganz anders als ich es erwartet hätte! Ich stellte mein Leben um, veränderte meine Beziehung und nahm einen anderen Job an, mit weniger Druck. Es war nicht einfach, hat sich aber gelohnt.
Welche Erfahrung möchten Sie Betroffenen mitgeben?
Hilfe annehmen! Egal wo. Der körperliche Entzug ist kurz. Es geht mehr darum, das Leben zu meistern, sich nicht davonzustehlen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen heimlich trinken. Hilfe holen kann man sich bei Bekannten, bei Selbsthilfegruppen (www.selbsthilfeluzern.ch) und bei Beratungsstellen (www.sobz.ch), Informationen gibt es unter www.alcohol-facts.ch.