Fliessgewässer werden bürokratisiert

Ab dem 1. Januar 2013 werden grosse Teile der Luzerner Fischereireviere nicht mehr verpachtet, sondern im Patentsystem bewirtschaftet. Der Systemwechsel birgt auch Gefahren. Die Reuss droht laut dem Fischereiverein Reuss Luzern dahinzudarben. Die zukünftige Bewirtschaftung der Fliessgewässer ist unsicher.

esa. Ende 2012 laufen die Pachtverträge ab. Ab 1. Januar 2013 werden die 123 Reviere im Kanton Luzern neu verpachtet. Bisher waren vornehmlich die ortsansässigen Fischerei- oder Quartiervereine für die Bewirtschaftung der Gewässer zuständig. Als Gegenleistung für die Fronarbeit erhielt der jeweilige Verein das Recht, die Angelscheine zu vergeben. Am Vierwaldstättersee und am Sempachersee ist das Fischen mit der einfachen Angel von öffentlich zugänglichen Ufern, Brücken und Stegen aus ohne Bewilligung und Gebühren erlaubt. Wer andernorts auf oder an einem See angeln will, braucht ein Patent.

Fliessgewässer neu im Patentsystem
1400 Fischer haben im vergangenen Jahr ein Patent gelöst. An Fliessgewässern ist das Angeln bis heute ausschliesslich den Pächtern vorbehalten. Der Luzerner Regierungsrat erklärt in seiner Mitteilung, dass sich die bisherige Mischform von Pacht- und Patentfischerei im Grundsatz bewährt hat. Jedoch sieht die Regierung in einer flächendeckenden Verpachtung der Fliessgewässer den Nachteil, dass für die breite Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Fischereiausübung an Fliessgewässern bestehen. Deshalb hat der Regierungsrat beschlossen, die bisherigen Reviere «Reuss» sowie «Kleine Emme I» und Teile von «Kleine Emme II» nicht mehr zu verpachten, sondern ab dem ersten Januar 2013 im Patentsystem zu bewirtschaften. Ein Teil des Fliessgewässernetzes wird zudem ausschliesslich der Fliegenfischerei zur Verfügung gestellt.

Einschneidender Wechsel
Im bisherigen Pachtsystem wird ein Gewässer oder eine Teilstrecke eines Gewässers durch den Kanton für acht Jahre an eine Gruppe von Fischern verpachtet. Diese Fischer haben während der Pachtperiode das alleinige Recht, Fische zu fangen und dürfen dieses Recht auch an eine begrenzte Anzahl von Gastfischern ihrer Wahl weitergeben. Viele Fischereivereine erzielen einen Grossteil ihrer Jahreseinnahmen durch eben diese Weitergabe des Fischerrechts. Im Gegenzug wurde durch die Vereine die Bewirtschaftung der Gewässer sichergestellt. Neu werden ab kommendem Jahr für ein Gewässer oder eine Teilstrecke eines Gewässers Fischereipatente durch den Kanton erteilt. Jedermann, der die gesetzlichen Bedingungen erfüllt, ist berechtigt ein Patent zu erwerben. Die Patentdauer beträgt maximal ein Jahr. Dadurch muss in erster Linie die zukünftige Bewirtschaftung und Erhaltung der wichtigsten naturräumlichen Bedingungen neu definiert werden.

Das Mass halten
Wie es ab dem nächsten Jahr mit dem Fischbestand weiter geht, bleibt zurzeit noch offen. Der Kanton will mit «der massvollen Öffnung der Patentgewässer» eine «zurückhaltende Befischung der verpachteten Forellenbäche im bisherigen Umfang» gewährleisten. Zusätzlich argumentiert der Regierungsrat, dass durch das Patentsystem im Fall des Reviers Reuss «kurzfristig erforderliche Massnahmen für gefährdete Fischarten rascher umgesetzt werden können». Dies, weil in der Reuss verschiedene Fischarten mit hohem Gefährdungsstatus leben. Der Regierungsrat hofft zudem, dass die betroffenen Fischereivereine auch künftig – als Patentfischer – ihre grossen Erfahrungen in die Fischerei im Kanton Luzern einbringen. Vorbild sei die Korporationsgemeinde Luzern, welche ihr privates Fischereirecht in der Reuss als Patentgewässer zur Verfügung stellt und bewirtschaftet.

Vorhaben passt nicht allen
Das Ansinnen des Luzerner Regierungsrates wird aber nicht überall positiv aufgenommen. Der Fischereiverein Reuss Luzern (FVRL) beispielsweise mit 150 Mitgliedern hat die Reuss von Reussbühl bis zur Kantonsgrenze Luzern/Aargau seit bald 50 Jahren in Pacht und im Einklang mit der Dienststelle Landwirtschaft und Wald bewirtschaftet. Jährlich bezahlt der Verein dem kantonalen Amt, auch «LAWA» genannt, über 18‘200 Franken Pachtzins und hat für die Bewirtschaftung über 15‘000 Franken aufgewendet. Die gesamten Investitionen für die eigens betriebene Fischzucht betragen weit mehr als 30‘000 Franken. Allein im Jahr 2011 hat der FVRL weit über 70‘000 Jungforellen aufgezogen und in die Reuss eingesetzt. Jährlich leisten die Vereinsmitglieder für die Bewirtschaftung der Gewässer und unmittelbaren Umgebung über 1300 Frondienststunden. Obwohl der FVRL im September vergangenen Jahres informiert wurde, dass ein Systemwechsel ins Auge gefasst würde, mussten die Vereinsmitglieder durch die Medien vom definitiven Entscheid des Regierungsrates Kenntnis nehmen. Laut FVRL wurde von Seiten der LAWA mehrmals versichert, dass vorgängig eine Anhörung stattfinden würde, bevor eine definitive Entscheidung fällt. Auch der kantonale Fischereiverband Luzern empfahl dem LAWA dringend den Einbezug des Vereines. Jedoch blieb eine Vernehmlassung, beziehungsweise Anhörung des Vereines aus.

Kritik an LAWA
Die Auswirkungen des Systemwechsels sind für den Fischereiverein von existenzieller Bedeutung. Mit dem Wegfall der Abgabe für Fischereiberechtigungen verlieren sie ihre finanzielle Grundlage. Als Folge davon fehlen die Ressourcen für die Bewirtschaftung wie Fischzucht, Fischeinsatz, Uferpflege, Abfallsammlung, Fischereiaufsicht und vieles mehr. Der FVRL bemängelt, dass aus ihrer Sicht die aufgeführten Gründe für den Wechsel unwahr sind und das LAWA für die Bewirtschaftung im Patentsystem bis heute kein Konzept vorlegen konnte. Daher geht der Verein davon aus, dass der Regierungsratsentscheid auf einer blossen Empfehlung beruht. Ab 2013 muss das LAWA die Bewirtschaftungsaufgaben selber übernehmen oder kann Teile dieser Aufgaben delegieren.

Zusammenarbeit angestrebt
Der Fischereiverein bangt nicht nur um die eigene Existenz. Die Befürchtung ist, dass sich dieser Entscheid auf den bedrohten Äschenbestand auswirken wird. Durch den ab 2013 freien Patentverkauf würden dann «die gnadenlosen Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten». Der Befischungsdruck würde steigen, bis keine Fische mehr vorhanden sind. Der Vorstand des FVRL hat gegen den Entscheid des Systemwechsels schriftlich interveniert und sich mit Vertretern des Regierungsrates zu einer Aussprache getroffen. Dies hat zur Vereinbarung weiterer Schritte geführt. Bis Juni erarbeitet der Kanton ein Bewirtschaftungskonzept. Darin sollen mögliche Leistungsvereinbarung mit dem FVRL inklusive Abgeltung enthalten sein. Bis August können sich dann die Vereinsmitglieder zu Leistungsvereinbarung und Ausrichtung des Vereines orientieren. Schliesslich findet im September eine ausserordentliche Generalversammlung statt, an der die Weichen für die Abschlussverhandlungen des FVRL mit der LAWA gestellt werden.

Nachgefragt
Wir haben beim Präsidenten des Fischereivereins Reuss Luzern, Franz Stadelmann, nachgefragt, wie er die zukünftige Entwicklung der Reuss in Anbetracht des Systemwechsels sieht.

Durch das Patentsystem entgeht Ihnen künftig ein wesentlicher Anteil Ihrer Erträge, welche Sie vornehmlich durch die Fischereilizenzen im Pachtsystem eingenommen haben. Wie wollen Sie diese Einbussen abfedern?
Ein wesentlicher Teil unserer Mitglieder ist mit Herz und Blut mit der Reuss verbunden und erbrachte bis jetzt unentgeltliche Leistungen zugunsten des Vereines. Ob die Mitglieder dies auch weiterhin tun werden, hängt von der zukünftigen Regelung mit dem LAWA ab. Die von der kantonalen Verwaltung LAWA in Aussicht gestellten Leistungsaufträge könnten dann einen Teil der Erträge kompensieren.

Welche Bedingungen stellen Sie, damit die Erhaltungsarbeiten an Ihrem bisherigen Pachtgebiet weiterhin von Ihrem Verein aus gestaltet werden? Oder glauben Sie, dass der Kanton die Bewirtschaftung durch Externe durchführen will?
Die kantonale Verwaltung hat weder die finanziellen noch die personellen Mittel, um diese Arbeiten ausführen zu können. Die in Aussicht gestellten Leistungsaufträge können auch durch Externe erbracht werden. Der Fischereiverein Reuss Luzern hat keine Privilegien und wird sich somit in diesem Rahmen messen.

Welche Hauptveränderungen glauben Sie, wird der Systemwechsel mit sich bringen? Gibt es auch positive Aspekte aus Ihrer Sicht?
Aus Erfahrung können wir uns nicht vorstellen, dass sich der Systemwechsel positiv auf die Reuss auswirken wird. Die Freiwilligenarbeit wird durch bezahlte Aufgaben abgelöst, wobei die Menge der erbrachten Leistungen unweigerlich kleiner wird. Dem Engagement «Herzblut» steht kein ideeller Wert gegenüber. Wir befürchten ein erhöhtes Risiko für Wildwuchs bei der Fischerei, eine Verschlechterung der generellen Ordnung unter den verschiedenen Nutzniessern der Uferlandschaften und dass Gewässerverschmutzungen nicht mehr verfolgt werden. Das Positive aus Sicht des einzelnen Fischers wird sein, dass er kurzfristig für wenig Geld und ohne Verpflichtungen sein Recht auf den Fischfang einlösen kann. Die Rechnung müssen dann andere bezahlen, spätestens wenn nach ein paar Jahren nur noch Steine im Bachbett übrig bleiben.

Wird der Systemwechsel Ihrer Meinung nach schädlich für die Natur ausfallen?
In unserem Verein mit ungefähr 150 Mitgliedern/Gästen ist ca. 1/3 mehr oder weniger aktiv am Wasser. Mit der geplanten Kartenabgabe, um die sogenannte Nachfrage zu befriedigen, wird sich der Befischungsdruck unweigerlich erhöhen. Die ferne Verwaltung wird verwalten und je nach Ergebnis nachläufig Korrekturen anbringen. Sie kennt die heiklen Zusammenhänge wohl aus dem Lehrbuch, die naturnahen praktischen Einflüsse werden wohl irgendwoher adaptiert einfliessen. Heikle Systeme brauchen irgendjemanden wie den Bauern im Stall, der die Veränderungen wahrnimmt. Das Gewässer kann ebenso wenig wie der gesunde Herdenbestand eines Bauern verwaltet werden. Es braucht eben mehr. Der getroffene Systemwechsel kann diesbezüglich nur die zweitbeste Lösung für die Natur sein. Somit wird sie unweigerlich zur Verliererin.

Die Fragen stellte Elia Saeed