«Digital Health» geht uns alle etwas an

Die COVID-19-Pandemie hat den Einsatz digitaler Hilfsmittel im Gesundheitssektor rasant beschleunigt. Digitale Lösungen wie Telemedizin und Self-Tracking-Technologien stiften in einer Pandemie grossen Nutzen. 2018 noch als «Medizin von Morgen» tituliert, ist «Digital Health» heute in unserem Alltag angekommen.

Peter Müller, 74,* hat einen hohen Blutdruck. Er muss deswegen regelmässig seinen Arzt aufsuchen. Während der Pandemie hatte er wegen seiner gesundheitlichen Situation stets grossen Respekt davor, sein Haus zu verlassen. Glücklicherweise konnte er seinen Arzt regelmässig über das Internet konsultieren, erhielt von ihm gute Ratschläge und seine Medikation wurde dem Befinden angepasst.

Was ist «Digital Health»?

«Digital Health» verbindet Leben, Gesellschaft, Gesundheit und Gesundheitsfürsorge mit digitalen Gesundheitstechnologien fachübergreifend. Das klingt nach Zukunftsmusik – findet jedoch heute bereits Anwendung: Wer hat während der Pandemie nicht einmal einen Arzt via Telemedizin konsultiert? Bestimmt wissen Sie, dass pro Tag 10’000 Schritte empfohlen werden – zum Glück zählt das Handy fleissig mit. Und vielleicht nutzen Sie nun gar die Treppe, um diesen Wert zu erreichen? Womöglich haben Sie auch die SwissCovid App installiert. Dank der anonym übermittelten Daten konnte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) wertvolle Erkenntnisse bezüglich unserer Mobilität und der Wirksamkeit der Massnahmen gewinnen. Erkenntnisse, die für viele Menschen unmittelbar überlebenswichtig wurden.

Der aktuelle Durchbruch von «Digital Health» mag vielleicht abrupt erscheinen. In Schweizer Spitälern sind bei Operationen an der Prostata aber bereits seit 2002 hochpräzise Roboter im Einsatz.

Bedürfnis nach digitalen Gesundheitsangeboten steigt

Die Schweizer sind digital affin: Laut Bundesamt für Statistik haben 95% der Schweizer einen Internet-Zugang und 84% nutzen ein Smartphone. Und: 62% der Bevölkerung findet die Anwendung digitaler Technologien in der Gesundheitsversorgung wichtig.

Im internationalen Vergleich «IMD World Digital Competitiveness Ranking 2020» werden Wissen, Technologie und zukünftige Bereitschaft für Digitalisierung gemessen. Die Schweiz liegt in diesem Vergleich auf dem Platz sechs. Eine Umfrage vom Institut GFS in Bern ergab, dass der Datenschutz für die Schweizer Bevölkerung der entscheidende Faktor für die nächsten Schritte im Bereich «Digital Health» ist.

Datenschutz als Risikofaktor

Durch die Beeinträchtigung der Gesundheitsinformationen kann Cyberkriminalität die Sicherheit von Millionen von Menschen kompromittieren. So können Daten beispielsweise gestohlen, zerstört oder korrumpiert werden. Das öffentlich finanzierte Gesundheitssystem Grossbritanniens, the National Health Service (NHS), wurde im Jahr 2017 Opfer eines Schadprogramms. Tausende Sprechstunden und Operationen wurden auf Grund von verlorenen Daten abgesagt. Damit sich die Digitalisierung im Gesundheitsbereich weiter entwickeln kann, ist also die konsequente Umsetzung des verfassungsmässig garantierten Datenschutzes eine wesentliche Grundanforderung und – voraussetzung. Die «Blockchain» kann hier vielleicht zum Durchbruch verhelfen: Wird die Blockchain als «Speicherort» genutzt, sind keine zentralen Einheiten (z.B. Krankenkasse oder Amt) nötig, um Daten zu speichern oder -transaktionen zu verwalten. Stattdessen werden Datenblöcke in einem Netzwerk kryptografisch verkettet.

Neben den sehr hohen Anforderungen an den Datenschutz hemmt auch das föderalistische System die Entwicklung des Themas in der Schweiz. Das Projekt «Elektronisches Patientendossier» zeigt, dass eine einheitliche und flächendeckende Planung und Einführung von «Digital Health» Anwendungen anspruchsvoll und zeitraubend ist. Die heutige Version des Elektronischen Patientendossiers ist jedoch ein erster Schritt hin zu einer strukturierten, sicheren Gewinnung und Aufbewahrung von Patientendaten.

Einige befürchten auch, dass Roboter und künstliche Intelligenz Menschen gänzlich entbehrlich machen – das wird aber nicht der Fall sein. Zwar können die Hilfsmittel bei Routinearbeiten eingesetzt werden oder gefährliche Aufgaben übernehmen. Die menschliche Empathie, die eine Pflegerin einem Menschen entgegenbringt, bleibt für die Genesung unersetzbar. «Digital Health» kann sogar mehr Zeit für die wichtige menschliche Nähe verschaffen – und dabei Kosten sparen und die Qualität verbessern.

Dämpfung des Kostenwachstums dank «Digital Health»

Die Digitalisierung kann einen wesentlichen Beitrag zur Kostensenkung im Gesundheitswesens leisten. Dies bestätigt Alfred Angerer, Professor und Mitgründer des «Digital Health» Lab an der ZHAW: «Ein vorsichtiges, optimistisches Ja. Doch wir wissen wissenschaftlich noch insgesamt zu wenig darüber».

Direkte Kosteneinsparungen können erreicht werden, wenn Prozesse effizienter gestaltet werden, beispielsweise wenn Administrationsprozesse wegfallen. Im Bereich der Prävention liegt ein besonders grosser Kostenhebel: «In den letzten Jahren wurden Senkungen im Preis meistens durch den Mengenzuwachs aufgefressen. Ich fürchte auch bei «Digital Health» ist es nicht anders, das setzt sich zu langsam durch. Aber zumindest eine Dämpfung des Kostenwachstums wäre eventuell möglich», sagt Angerer.

«Digital Health» kann auch zu nachhaltigen Umweltzielen beitragen

Digital Health kann mittelfristig auch Auswirkungen auf die Raumplanung haben: «Jetzt schon hat ambulant vor stationär Auswirkungen auf die Immobilien und ihre Auslastung. Das gleiche wird mit «digital vor analog» passieren», sagt Professor Angerer. Spitalflächen können frei werden und Randregionen bleiben dank Telemedizin bewohnt. In Heidelberg gibt es bereits eine virtuelle Hautarzt-Praxis – Heizkosten, Parkplatzprobleme oder volle Warteräume gehören der Vergangenheit an. Die Erstbeurteilung durch einen Facharzt erfolgt in kurzer Zeit – ganz ohne langwierige Terminvereinbarungen auf Monate hinaus. Auch das kann Leben retten – und schützt unsere Umwelt.

Die Lage, Grösse und die Menge der Flächen im Gesundheitswesen sind zu überprüfen, zu strukturieren und den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Flexible, multifunktionale Strukturen sind der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit. Und dank Robotik und Sensorik werden die Gebäude hygienisch auf noch nie dagewesene Standards gehoben. Diese Effizienzsteigerungen bringen uns auch ökologisch weiter: Mit bestehenden Ressourcen wird mehr geleistet.

Telemedizin kann zu weniger Verkehr und weniger und kleineren Gebäuden und Praxen führen – und so beachtlich CO2 einsparen. «Aber Technologie kostet auch Energie», relativiert Professor Angerer. Wo möglich sollen daher erneuerbare Energien genutzt werden.

«Digital Health» leistet letztlich auch einen Beitrag für einen verantwortungsbewussten, nachhaltigen Umgang mit unseren Infrastrukturen sowie Ressourcen und kann überdies einen Beitrag zur Dämpfung der sich explosiv entwickelnden Gesundheitskosten leisten. Die Pandemie hat uns den grossen Nutzen von «Digital Health» vor Augen geführt.

* Fiktiver Name

Elina Rantala, M.D., Ph.D., Fachärztin & Simon Baumgartner, Chartered Surveyor (MRICS), MAS IM HSLU Die Autoren sind Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft.