«Frauenpower»: Kleines Land Schweiz mit grossen Sportlerinnen

Prominenter Gratulant: US-Präsident Gerald Ford gratuliert Vreny Schneider zum WM-Riesen-Gold in Vail 1989. Bild: zVg.

Kein Zufall, dass das Buch «Frauenpower – die 30 prägendsten Sportlerinnen der letzten 50 Jahre» gerade jetzt erschienen ist: Das Frühjahr 2021 ist geprägt vom Jubiläum des Frauenstimmrechts, am 16. März 1971 wurde es bei uns formell wirksam. «Mit dem Stimmrecht einher ging die Selbstbestimmung der sportlichen Frauen, die ersten Schweizerinnen machten international gross Karriere», sagt Sportjournalist Marco Keller vom Autorenteam. Mit im Team auch Monica Schneider und Peter M. Birrer.

Vor 50 Jahren wurde Frauen ausgeschlossen, wenn sie zum Beispiel an einem Volkslauf teilnehmen wollten – heute werden Sportlerinnen gut dafür bezahlt, wenn sie auf Social Media für sich und ihre Sportart Werbung machen. Die Entwicklung im Frauensport ist riesig, eines blieb sich jedoch seit jeher gleich: Die kleine Schweiz brachte stets grosse Athletinnen heraus: Persönlichkeiten, Pionierinnen, Phänomene in den verschiedensten Disziplinen.

Kleines Land – grosse Sportlerinnen

Ob Ski, Tennis, Leitathletik oder Curling -wie gerade jetzt mit dem neuerlichen Weltmeistertitel-, der Schweizer Frauensport schreibt seit Jahrzehnten Erfolgsgeschichten. «Besonders erwähnenswert sind viele Leistungen aufgrund der Hindernisse, mit denen die Athletinnen in der immer noch männerlastigen Szene konfrontiert waren und es teils heute noch sind», schreibt Marco Keller im Prolog.

Die Autoren sind den Fragen nachgegangen, wer die letzten 50 Jahre mit Erfolgen geprägt hat, dem Frauensport ein Gesicht gegeben und die eigene Sportart gefördert hat. Entstanden sind 30 ganz unterschiedliche Begegnungen, Geschichten, Eindrücke, Bilder aus 18 Sportarten. Diese Frauen ermöglichen mit ihrer Offenheit faszinierende Einblicke auch über das sportliche hinaus. Sie zeigen die Eigenheiten, zeigen die Frau hinter dem sportlichen Glanz, die Frau, die sich in der nach wie vor männerdominierten Sportwelt den Begebenheiten oft auch widersetzt und sich den Erfolg erkämpft. Mit Frauenpower eben.

Ob längst zurückgetreten wie Meta Antenen (erster Schweizer Sportstar), Christine
Stückelberger, Marie-Theres Maite Nadig oder Maria Walliser, ihrer Leidenschaft nach dem Rücktritt noch immer frönend wie Denise Biellmann, Mirjam Ott oder Simone Niggli-Luder oder ganz einfach noch aktiv wie Mujinga Kambundji, Fanny Smith, Nicola Spirig oder Manuela Schär – das Buch zeichnet Karriere und Leben der 30 prägendsten Schweizer Sportlerinnen seit Anfang der 1970er-Jahre nach. Sonnen- und Schattenseiten, Glanz und Gloria, Rückschläge im Sportlichen wie im Privaten, die Suche auf dem Weg zur Weltspitze oder der spätere Bruch als Mensch als Konsequenz, wie ihn so Einige erlebt haben, sind von den Frauen schonungslos erzählt worden.

Ariella – die Suchende

Mit «Die Suchende» ist zum Beispiel Ariella Kaeslins Geschichte betitelt. Die Meggerin war jahrelang Weltspitze, aber auch ein gebrochener Mensch. Die Kunstturnerin hat als 13-jährige das Elternhaus verlassen, um im Leistungszentrum Magglingen zu trainieren, sie geriet in eine Welt, in welcher der Trainer die Meinung vertrat, «all jene haben nicht richtig trainiert, wenn ihnen nach dem Training nichts wehtut . . .».

Ariella nahm das Leiden an, auch wenn sie und ihre Turnkollegen nach dem montäglichen Wiege-Prozedere despektierlich als «grosse Vache – als fette Kuh» bezeichnet wurde. Jahre nach dem Rücktritt -mit 23- hat sie nun die Balance gefunden, aber «das Nestchen suche ich heute noch», gibt sie den Autoren preis.

Ariella Kaeslin, die Suchende: Beim Pferdsprung sprang sie in Sphären, in denen noch keine Schweizerin war. Bild: Romina Amato.

«Aufholjagd hat bebegonnen»

«Das freut mich als Frau und als Sportministerin, dass auch die Sportredaktionen das Thema Frau im Sport ansprechen, denn Erfolge weiblicher Athletinnen erhalten mehr Aufmerksamkeit als noch vor einigen Jahren, das ist eine gute Entwicklung. Diese Entwicklung hat Fahrt aufgenommen, wir erleben derzeit eine ziemliche Aufholjagd», schreibt Bundesrätin Viola Amherd in ihrem Vorwort. Gleichzeitig erinnert sie daran, «dass Spitze nur danke Breite möglich ist, denn jedes Mädchen, jede Jugendliche, jede Frau, die sich sportlich engagiert, stärkt die Selbstverständlichkeit, dass Frauensport den ihm gebührenden Platz in unserer Gesellschaft hat.»

Rolf Willimann


Das Buch «Frauenpower» (220 Seiten, Hardcover, gebunden, 32 Franken) ist im Kebisch-Verlag, Kilchberg, erschienen. Es ist im Buchhandel (ISBN 978-3-033-08066-9) oder über www.50-jahre-frauenpower.ch / Mail: kontakt@50-jahre-frauenpower.ch erhältlich. rowi

Cover Buch «Frauenpower». Bild: rowi / scan

Viermal Sommer-Gold und nur eine Weltrekordhalterin
Bei den olympischen Sommerspielen holten die Schweizer Athletinnen bisher vier Goldmedaillen: Hélène de Pourtalès, Paris 1900, Segeln; Christine Stückelberger, Montreal 1976, Dressurreiten; Brigitte McMahon, Sydney 2000, Triathlon; Nicole Spirig, London 2012, Triathlon. Dazu gab es zweimal Para-Gold für Edith Wolf-Hunkeler: Peking 2008, Marathon und London 2012, 5000-Meter-Bahn. Die bisher einzige Weltrekordhalterin war die Leichtathletin Meta Antenen: Im Sommer 1969 stellte sie beim Meeting in Liestal im Fünfkampf mit 5046 Punkten einen vielbeachteten neuen Weltrekord auf. rowi

Edith Wolf-Hunkeler holte gleich zweimal Para Gold. Die Rollstuhlsportlerin berührt heute noch. Bild: Romina Amato.