Droht der Verlust von günstigem Wohnraum?

Geplante Wohnbausanierung im Maihofquartier

LUZERN/MAIHOF –  Seit 63 Jahren lebt Herr H. in seiner Wohnung an der Maihofhalde. Vieles hat sich in diesem langen Zeitraum verändert. In seinem Leben, aber natürlich auch im Quartier. Die Entwicklungen in der Gesellschaft, Wirtschaft, Migration und der Demografie beeinflussen unser Leben und damit unsere Gewohnheiten in Sachen Arbeiten, Mobilität aber eben auch das Wohnen. Auch im Maihofquartier ist das Zusammenleben von heute ein anderes, als noch vor Jahrzehnten.  Wo einst beinahe familiäre Verhältnisse geherrscht haben, prägt heute vorwiegend Anonymität und Fluktuation das Wohnverhalten der Mieter.

Selbstverständlich findet man auch dieser Tage noch Nachbarschaftshilfe, Bekanntschaften, Freundschaften und geselliges Zusammensein. Doch der Zusammenhalt von Mietparteien, die mit beinahe dörflichem Charakter zu bezeichnen waren, ist stetig am Verschwinden. Die Zunahme von jüngeren Mietern, der Anspruch auf mehr Mietraum für sich alleine und das öftere Umziehen sind alles Folgen der gesellschaftlichen Entwicklung, der Zunahme von Wohlstand und dem Diktat des Arbeitsmarktes. Des weiteren hat natürlich auch die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung einen Einfluss auf die Wohnsituation, vor allem in den Städten und Agglomerationen. Nun, man mag sich nostalgisch an die alten Zeiten erinnern, darf den Verlust der einen oder anderen Lebensqualität auch beklagen,  aber die Welt dreht sich weiter und Veränderungen – im Guten wie im Schlechten – gehören einfach dazu. Aber kommen wir zurück auf Herrn H. Wer den Wohnungsmarkt in der Schweiz über die letzten Jahrzehnte hinweg beobachtet hat, der weiss, dass günstiger Wohnraum immer mehr verschwindet und somit immer schwieriger zu finden ist. Und eine Immobilienlandschaft ohne die Institution «Genossenschaft»in der Schweiz eigentlich undenkbar ist.

 Siedlung Obermaihof

Die Siedlung Obermaihof 1 aus den Jahren 1947/48, die einer angesehenen Genossenschaft (siehe Kasten) gehört, soll nun in absehbarer Zeit saniert, erweitert und verdichtet werden. Kein Wunder also, dass sich alteingesessene Mieter wie Herr H. und auch viele andere, welche vielleicht nur ein bescheidenes Budget zur Verfügung haben, Sorgen machen, ob sie sich denn ihr liebgewonnenes Zuhause künftig überhaupt noch werden leisten können. Die Strategie, dass alte Bauten saniert, oder gleich ganz abgerissen werden, damit neuer, teurerer Wohnraum erstellt werden kann, ist ja nicht neu. Schaut man in die USA der 70er und 80er Jahre, sind dort ganze Quartiere auf diese Weise von mittelständischen Mietern entvölkert und durch Wohnraum für gut- und bestverdienende Mieter ersetzt worden. Diese Vorgehensweise wird seit einigen Jahren nun auch in hiesigen Breitengraden praktiziert. Und, ganz ehrlich gesagt, von privaten Unternehmen, die sich grundsätzlich der Gewinnmaximierung unterworfen haben, erwartet ja auch niemand ernsthaft etwas anderes. Bei Institutionen wie einer «Baugenossenschaft» hingegen stellt man schon noch höhere Ansprüche.

 Günstigen Wohnraum erhalten

Die im vorliegenden Fall betroffene Genossenschaft betont, dass sie ganz bewusst günstigen Wohnraum erhalten will. Die Erneuerungen sind qualitativ und zeitlich etappiert: Sanierung im unteren Preissegment, Sanierung mit Erweiterung der Wohnungen und Balkone im mittleren Preissegment und Neubau mit tiefen Marktmieten. Letzteres, weil die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Stadt Luzern den gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften den Auftrag erteilt haben, innert 25 Jahren 2300 gemeinnützige Wohnungen zu bauen. Die Siedlung Maihof bietet diesbezüglich grosses Verdichtungspotenzial. Auch werde die Umgebung weiterhin grosszügig gestaltet. Und allen vom Neubau betroffenen Mieterinnen und Mietern werden frühzeitig und bevorzugt andere Wohnungen angeboten. Im Übrigen werde die betreffende Baugenossenschaft alle erdenklichen Hilfestellungen anbieten, gerade weil sie sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sei.

 Trotzdem verunsichert

Das klingt anständig und fair. Man kann den verunsicherten Mietern jedoch nicht verdenken, dass sie sich grosse Sorgen machen und einer – was ihre Wohnsituation anbetrifft – ungewissen Zukunft entgegengehen. Einerseits muss man der Baugenossenschaft zu gute halten, dass sie frühstmöglich informiert hat, andererseits macht das Projekt ohne ganz konkrete Zusagen – was natürlich auch der mehrjährigen Planung und Umsetzung geschuldet ist – Platz für Existenzängste, insbesondere für ältere und weniger bemittelte Mieter. Grundsätzlich wird sich die Baugenossenschaft daran messen lassen müssen, wie sie ihre soziale Verantwortung faktisch umsetzt. Falls die angebotene Hilfestellung konkret und realistisch ist, wenn der Einzelfall geprüft wird und individuelle Lösungen bereitgestellt werden, auch für Härtefälle befriedigende Unterstützung gefunden wird, dann kann man dem Projekt kaum noch ablehnend gegenüberstehen. Daher wird jedem Betroffenen empfohlen, sich direkt mit der Genossenschaft in Verbindung zu setzen, statt nun monate- oder im schlechteren Fall gar jahrelang mit Ungewissheit und Ängsten zu leben.

 Wie mit Verdichtung umgehen

Gänzlich unabhängig vom Thema «Genossenschaften» müssen wir uns der Frage stellen, wie wir mit «Verdichtung» – wie im Obermaihof angekündigt – umgehen wollen. Schon heute sprechen wir von «Dichtestress». Ob dieser allein durch mehr Immobilien oder durch Hochhäuser entschärft werden kann, ist mehr als fraglich. Initiativen wie die über die Masseineinwanderung oder die Ecopop-Initiative lassen ja bereits darauf schliessen, dass die Bevölkerung langsam genug hat. Ausserdem gäbe es bezüglich günstigem Wohnraum auch ganz andere Alternativen, als einfach nur «mehr» zu bauen. So wäre es zum Beispiel im Rahmen der technologischen Entwicklung kein Problem, einen grossen Teil des von Firmen beanspruchten Büroraumes in den Innenstädten mit Home-Office-Lösungen zu ersetzen. Dies würde nicht nur den Immobilienmarkt entlasten, sondern auch verstopften Strassen und überfülltem ÖV zu Gute kommen. Doch für solche Ideen sind wir wohl noch nicht bereit, solange zu viele Spekulanten am derzeitigen System verdienen und daran festhalten. Die Diskussion ist eröffnet.

Stefan Jäggi

Die abl gestaltet Wohn- und Lebensraum

Die Wohnbaugenossenschaft abl ist mit über 9’700 Mitgliedern die grösste Baugenossenschaft in der Zentralschweiz. In 14 Siedlungen – darunter auch im Maihofquartier – bietet die abl in 241 Liegenschaften mit rund 2’100 Wohnungen rund 4’500 Menschen Wohn- und Lebensraum. Die abl investiert in die Erneuerung der alten Siedlungen ebenso wie in neuen Wohnraum, um die Genossenschaft langfristig zu sichern und den heutigen Bedürfnissen an Wohnraum und Wohnformen gerecht zu werden. Die abl ist stets am Bauen: Jährlich investiert die Genossenschaft rund 21 Millionen Franken in bestehenden und neuen Wohnraum. In den älteren Liegenschaften – von der Gründerzeit um 1924 bis in die siebziger Jahre – besteht Handlungsbedarf: «Umbauten und Erneurungen sind notwendig, um den alten Wohnungsbestand auf einen zeitgemässen Stand zu bringen und die Wohnqualität für die Zukunft zu erhalten. Die abl setzt auf umfangreiche Sanierungen ebenso wie auf Neubauten, um einen guten Wohnungsmix mit einer guten Durchmischung in den Siedlungen zu erreichen», schreibt die Genossenschaft auf ihrer Website.