Die vergessenen seltenen Krankheiten

Mael leidet an der seltenen und unheilbaren Krankheit Niemann Pick C. Bild: MatildaBlu Fotografie /Angie di Mercurio.

Es harzt bei der Umsetzung des Nationalen Konzepts seltene Krankheiten

Seit mehr als zwei Jahren verfügt der Bund über das Konzept «Seltene Krankheiten». Bei der Umsetzung gibt es aber kaum Fortschritte, wie eine Umfrage bei den wichtigsten Protagonisten zeigt.

In der Schweiz leben gemäss Schätzungen des Bundes rund eine halbe Million Menschen, die eine seltene Krankheit haben. Die Krankheiten sind zum Teil sehr selten, mit schweizweit weniger als 20 Betroffenen, zum Teil sind sie weniger selten, mit bis zu 2000 Patienten in der Schweiz.

Mael leidet an der seltenen und unheilbaren Krankheit Niemann Pick C. Bild: MatildaBlu Fotografie /Angie di Mercurio.

Probleme sind vielfältig

Die Probleme für die Menschen mit seltenen Krankheiten und ihre Angehörigen sind vielfältig. Oft gibt es keine oder keine klare Diagnose. Es ist eine Odyssee der Ungewissheit. Gibt es eine Diagnose, fehlen vielfach die Informationen, das Netzwerk, die notwendigen Therapien und Medikamente. Die seltenen Krankheiten sind meist über weite Strecken noch nicht entschlüsselt. Dazu kommen die Emotionen, der Schock. Das Leben wie man es kannte, wie man es plante, ist urplötzlich vorbei. Gleichzeitig beginnen die juristischen, finanziellen und medizinischen Fragen. Oftmals begleitet von einem Kampf mit den Versicherungen, um Kostengutsprachen und – übernahmen. Was jetzt vielleicht etwas schwarzgemalt wirkt, ist für viele Betroffene Realität – zumindest in der Anfangsphase. Später wird man entweder zum Profi, man findet Hilfe oder in gewissen Punkten resigniert man auch einfach.

Umsetzung scheint in weiter Ferne

Um den betroffenen Patienten und deren Angehörigen zu helfen, hat der Bundesrat vor etwas mehr als zwei Jahren, am 15. Oktober 2014, das Konzept «Seltene Krankheiten» verabschiedet. Gut ein halbes Jahr später folgte ein Massnahmenplan. Fein säuberlich wurden 19 Massnahmen mit Ziel, Zuständigkeit und Frist definiert. So sollen in der Schweiz beispielsweise Referenzzentren für seltene Krankheiten entstehen, in den Kantonen und Spitälern soll es Koordinatoren für die Familien geben oder die Kostenübernahmen sollen besser geregelt werden. Bis spätestens Ende 2017 müssten sämtliche Massnahmen umgesetzt sein, einige Massnahmen sollten bereits umgesetzt sein. Doch die Umsetzung des Gesamtkonzepts scheint noch in weiter Ferne.

Der Lead liegt beim Bund

Die Projektleitung beim Konzept «Seltene Krankheiten» hat das Bundesamt für Gesundheit. Auf Nachfrage Ende Oktober konnte das BAG jedoch nur eine einzige konkret umgesetzte Massnahme nennen. Umgesetzt wurde ein Formular für Kostengutsprachen im Zusammenhang mit der Analysenliste. Einige weitere Massnahmen seien in Arbeit. Der Hauptfokus sei dabei bei den Referenzzentren. Ende November veröffentlichte dann die Schweizerische Akademie für medizinische Wissenschaften SAMW ihren Bericht zu dieser Thematik. Es ist für die Öffentlichkeit das erste wirklich sichtbare Zeichen für die Umsetzung des Nationalen Konzeptes «Seltene Krankheiten». Im Bericht werden nun Lösungen aufgezeigt, wie die Versorgung der Patienten mit seltenen Krankheiten künftig organisiert sein könnte. Die Akademie schlägt vor, dass es in erster Linie krankheitsspezifische Versorgungsnetzwerke und zum Teil auch Referenzzentren gibt. Auf Nachfrage nennt der Generalsekretär der SAMW, Hermann Amstad, die Abteilung «seltene Stoffwechselkrankheiten» des Kindespitals Zürich als Beispiel. «Dieses verfügt über ein gut funktionierendes Netzwerk, einerseits mit anderen Stoffwechsel-Spezialisten, andererseits aber auch interdisziplinär». Sprich: Die Stoffwechselabteilung des Kinderspitals holt sich beispielsweise den Neurologen, den Lungenspezialist oder den Physiotherapeuten als Experten dazu, falls es notwendig ist.

Netzwerke und Koordinationsstelle

«Das Ziel ist es, für verschiedene Krankheitsgruppen ein solches Netzwerk auf- oder auszubauen», sagt Hermann Amstad weiter. Triebfeder dafür soll eine nationale Koordinationsstelle für seltene Krankheiten sein. Diese soll Ärzte und Patientenorganisationen miteinander verknüpfen, die Kontakte herstellen, so dass dann ein Netzwerk daraus entsteht. Träger dieser Koordinationsstelle sollen die Kantone, die SAMW, die Universitäre Medizin Schweiz sowie ProRaris, der Dachverband der Patienten-Organisationen für seltene Krankheiten, sein. Anfangs November sei ein Kick-off-Meeting mit den Beteiligten gewesen, so Hermann Amstad. Die Gespräche würden in den kommenden Monaten weitergeführt mit dem Ziel, dass die Nationale Koordination Mitte 2017 ihre Tätigkeit aufnehmen kann.

Auch Kantone stehen in der Pflicht

Auch die Kantone sind für die Umsetzung von einzelnen Massnahmen mitverantwortlich. So zum Beispiel für die kantonalen Koordinatoren, die den Familien helfen sollen, oder auch für die Informationsplattformen. Auf Nachfrage bei der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK hiess es jedoch, dass die Umsetzung von Informationsplattformen zu seltenen Krankheiten und auch der Einsatz von kantonalen Koordinatoren von der Umsetzung und Ausgestaltung der Versorgungsnetzwerke und Referenzzentren abhängt. «Insofern liegen noch keine konkret definierten Massnahmen vor», teilte Sabine Wichmann, Projektleiterin der GDK, mit.

Zeitplan kann nicht eingehalten werden

Der Zeitplan für die Umsetzung des Nationalen Konzepts seltene Krankheiten dürfte kaum eingehalten werden können. Bis Ende 2017 müssten alle Massnahmen umgesetzt sein. Nach etwas mehr als zwei Jahren nach Veröffentlichung des Konzepts sind aber erst eineinhalb Massnahmen umgesetzt. Beim Bundesamt für Gesundheit will man jedoch mit einer Aussage noch abwarten. «Ob es für die Umsetzung des gesamten Konzepts mehr Zeit braucht als ursprünglich geplant, wird sich in den kommenden Monaten zeigen», sagt Emmanuelle Jaquet Von Sury, Mediensprecherin des Bundesamtes für Gesundheit. Auch bei der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften SAMW geht man davon aus, dass ein erstes neues Versorgungsnetzwerk «frühestens Mitte 2018» existiert.

 

Der Autor Matthias Oetterli, Udligenswil, ist Journalist BR und Vater eines Kindes mit einer seltenen Krankheit. Weitere Informationen und die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen, finden sich auf www.maelsleben.ch. Mael ist auch auf Facebook und Twitter präsent: www.facebook.com/maeloetterli und www.twitter.com/maeloetterli.

Die Geschichte vom unheilbar kranken Mael Oetterli und seinen Eltern wird am kommenden Samstag in der Sendung «Report» um 18.30 Uhr auf Tele 1 ausgestrahlt.