«Dann haben Sie Raum und Licht zum Spriessen»

Christoph Blocher stand dem «Rontaler» im Gasthaus Rössli in Adligenswil exklusiv Red und Antwort.

Unabhängigkeit, Freiheit und direkte Demokratie. In unserem Interview erklärt SVP-Doyen Christoph Blocher, warum er die «soliden konservativen Grundsätze, welche die Schweiz erfolgreich machten,» heute in Gefahr sieht.

Christoph Blocher, am Wochenende sagte das Schweizer Volk drei Mal klar Nein zu Volksinitiativen. Finden Sie nicht, dass wir in der Schweiz über zu viele Initiativen abstimmen müssen?

Nein. Wir haben vor allem verhältnismässig viele Initiativen, die angenommen werden. Gegen den Willen von Bundesrat und Parlament. Dies zeigt, dass wir eine Vertrauenskrise haben: Der Bürger fühlt sich vom politischen Establishment nicht mehr ernst genommen. Die vielen Initiativen sind Ausdruck dieser Unzufriedenheit.

Stichwort Ausschaffungs-Initiative. Die SVP hat eine Durchsetzungs-Initiative gemacht für etwas, das vom Volk demokratisch beschlossen wurde. Was läuft da falsch in der Schweiz?

Die grosse Stärke der Schweiz ist, dass letztlich die Bürger zum Rechten sehen können. Nur haben wir leider ein linkes Parlament, das nicht bereit ist, den Willen des Volkes umzusetzen, und sich dabei immer hinter so genannt «höherem» Recht verschanzt. Deshalb ist das Volk gezwungen, andere Wege zu finden, um seiner Meinung Gehör zu verschaffen. Und die findet es auch dank der Lancierung von Initiativen.

Und was sagen Sie zu den unzähligen linken Initiativen, die das Erfolgsmodell Schweiz frontal angreifen? Das passt Ihnen doch sicher auch nicht in den Kram …

Nein, sicher nicht. Aber sie sollen das Recht haben, solche Initiativen einzureichen. Wir haben ja auch das Recht, diese abzulehnen. Das Schweizer Volk hat zum Beispiel Nein gesagt zu mehr Ferien oder zum Mindestlohn. Wo gibt es das sonst auf der Welt? Das Ausland beneidet uns um unsere direkte Demokratie.

Was ist sonst noch gefährdet in der Schweiz, ausser der direkten Demokratie?

Die Freiheit der Bürger und des Werkplatzes. Jede Woche können Sie in den Medien einen neuen Regulierungsunsinn lesen. So soll zum Beispiel der Liter Benzin bald fünf Franken kosten, um die illusorischen Energieziele aus dem Departement Leuthard zu befriedigen. Oder man will eine Lohnpolizei einführen, die kontrolliert, ob Männer und Frauen in einem Unternehmen wirklich gleich viel verdienen. Ich frage Sie: Welcher Unternehmer ist so blöd, dass er einen teuren Mann einstellt, wenn er für dieselbe Arbeit und Leistung eine günstigere Frau haben kann?

Und wie beurteilen Sie das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union?

Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. 80’000 Zuwanderer pro Jahr können wir in der Schweiz einfach nicht verkraften. Und doch weigern sich die in Bern, die Masseneinwanderungs-Initiative, die am 9. Februar von Volk und Ständen angenommen wurde, korrekt umzusetzen. Und auch unsere Unabhängigkeit ist gefährdet. So will die EU, dass wir einen Vertrag unterschreiben, der uns zwingt, ihr Recht und ihre Gerichtsbarkeit zu übernehmen. Und unsere Regierung kuscht. Nein! Wir wollen weder fremdes Recht noch fremde Richter. Ihr in der Innerschweiz habt ja ein ganz besonderes Gespür für Unabhängigkeit und Freiheit. Schliesslich wurde in der Urschweiz – auf dem Rütli – vor 700 Jahren die Schweizer Eidgenossenschaft gegründet. Die Innerschweiz ist unsere Wiege.

Was verbindet Sie, nebst dem geschichtlichen Bewusstsein, sonst noch mit der Innerschweiz?

Ich bewundere eure tolle Landschaft und freue mich immer wieder, wenn ich gelegentlich im KKL den einen oder anderen musikalischen Leckerbissen geniessen darf.

Hand aufs Herz: Sagt Ihnen Ihre Frau eigentlich nie: Christoph, hör doch endlich auf mit der Politik. Wir könnten es doch so schön haben …

Das sagt sie mir seit 40 Jahren. Aber wir sind nicht da, um es schön zu haben. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Schweiz mich braucht, dann mache ich das, solange ich kann. Aber das versteht meine Frau dann schon auch. Sie will ja dann doch auch nicht schuld daran sein, wenn es mit der Schweiz bergab gehen würde.

Trotzdem. Sie sind jetzt 75 Jahre alt. Irgendwann wird Schluss sein mit der Politik. Sehen Sie jemanden innerhalb der SVP, der in Ihre Fussstapfen treten könnte?

In der Politik ist man, anders als im Geschäftsleben, nicht verantwortlich für die eigene Nachfolge. Aber ich bin guter Dinge. Bei den jungen Schweizerinnen und Schweizern hat eine Trendumkehr weg vom progressiven linken Gedankengut stattgefunden. Auch bei der SVP kommen junge Kräfte nach. Der Volksmund sagt: «Solange eine grosse Wettertanne im Wind steht und alles abdeckt, gibt es keine jungen Tännli. Sobald sie aber umfällt, haben die kleinen Pflänzchen Raum und Licht, um aus dem Boden zu spriessen.» So werde auch ich eines Tages umfallen und die Tännlein werden spriessen.

Interview Alex Piazza / Bild Lena Wimmer

Christoph Blocher stand dem «Rontaler» im Gasthaus Rössli in Adligenswil exklusiv Red und Antwort.
Christoph Blocher stand dem «Rontaler» im Gasthaus Rössli in Adligenswil exklusiv Red und Antwort.