Felix Ineichen, Arbeitsmediziner Suva, im Experten-Interview
zum Thema Zeckenstich
Der Jahresbeginn 2016 war warm. Vor allem in den Monaten Mai und Juni haben die Zecken dann Hochsaison. Felix Ineichen, Arbeitsmediziner bei der Suva, weiss, wie sich der Mensch vor den kleinen Blutsaugern schützen kann und kennt die Auswirkungen eines warmen Jahresbeginns auf die Zeckengefahr.
Felix Ineichen, wird 2016 aufgrund des warmen Jahresbeginns ein Zeckenjahr?
Ein Zeckenjahr anzukündigen ist leicht gemacht. Mal ist es die winterliche Kälte, welche die Zecken dazu bringt, die schützende Bodenschicht nicht zu verlassen, mal ist es das milde Wetter, das ein Erfrieren verhindert. Mit Prognosen sollte man vorsichtig sein, denn das Ausmass der Zeckengefahr hängt nicht allein von der Strenge des Winters ab. Aufgrund der Temperaturen zu Jahresbeginn können wir aber sagen, dass die Zeckensaison 2016 früh begonnen hat. Denn Zecken werden bei Temperaturen ab etwa 7 Grad aktiv.
Welcher Faktor beeinflusst die Zeckengefahr auch?
Sicher spielt es eine Rolle, wie viele Zecken im Frühling auf der Lauer sind. Aber entscheidend ist, ob diese Zecken einen Krankheitserreger in sich tragen oder frei sind davon. Unter den Erregern sind die Borrelien mit Abstand am Bedeutendsten. Sie verursachen die allermeisten zeckenübertragenen Krankheiten.
Kurz erklärt: Wie kann man sich am besten vor Stichen schützen?
Nach dem Aufenthalt im Wald, Unterholz und auf Wiesen sollte die Haut nach Zecken abgesucht werden. Besonders häufig stechen Zecken in die Kniekehlen, Leisten und Achselhöhlen. Generell wird im Wald das Tragen von gut abschliessenden hellen Kleidern empfohlen. Auf hellem Hintergrund sind Zecken besser zu erkennen und können sofort entfernt werden, bevor sie auf die Haut gelangen. Ebenfalls von Vorteil ist ein Zeckenschutzmittel für Haut und Kleider.
Wieso sind Zecken so gefährlich?
Durch Zeckenstiche werden Infektionskrankheiten auf den Menschen übertragen; in der Schweiz sind es hauptsächlich die von Bakterien verursachte Lyme-Borreliose und die von Viren ausgelöste Frühsommer-Meningoenzephalitis. Die Virusinfektion kann zu Hirnhaut- und Hirnentzündungen führen, die in manchen Fällen schwere Folgen haben können. Im Gegensatz zur Frühsommer-Meningoenzephalitis ist die Lyme-Borreliose relativ häufig und kann unbehandelt Entzündungen der Haut, Gelenke, von Herz und/oder Nervensystem verursachen.
Wie viel bringt der sogenannte Zeckenschnelltest, mit dem man eine Zecke auf Borrelien untersuchen lassen kann?
Nur etwa 5 bis 50 Prozent aller Zecken sind überhaupt Träger von Borrelien, also der Bakterien, welche krank machen können. Und auch befallene Zecken übertragen Borrelien erst, wenn sie nach dem Stich längere Zeit, wahrscheinlich mehr als 24 Stunden, am Saugen waren. In vielen Fällen ergibt also eine solche Untersuchung von Zecken überhaupt keinen Sinn. Nicht zu vergessen ist auch: Selbst wenn in einer Zecke keine Borrelien nachgewiesen werden können, ist eine Infektion durch einen anderen, nicht bemerkten Zeckenstich sehr wohl noch möglich. In diesem Sinn hat sich auch das Nationale Referenzzentrum für zeckenübertragene Krankheiten NRZK geäussert. Zeckenschnelltests werden nicht empfohlen.
Was gibt es neben dem Zeckenschnelltest sonst noch für Schutzmassnahmen in der Schweiz?
Eine in der Schweizer Forstwirtschaft schon angewandte Schutzmassnahme stellt das Tragen von Schutzkleidung dar, die mit einem zeckenabweisenden Mittel imprägniert ist. Der Wirkstoff namens Permethrin wird seit längerem in vielen Bereichen eingesetzt; unter anderem ist er in Insektensprays enthalten. Für Privatpersonen empfehle ich eine Softwarelösung. Werner Tischhauser und Prof. Dr. Jürg Gründer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil haben eine sehr nützliche App entwickelt. Wer die Massnahmen befolgt, die diese App empfiehlt, kann Stichen Vorbeugen. Neben hilfreichen Tipps zum Schutz vor Stichen, erklärt die App auch, wie eine Zecke richtig entfernt wird. Mit dem Zeckentagebuch kann der Betroffene zudem seinen Gesundheitszustand beobachten. Die App fragt den Benutzer in regelmässigen Abständen nach Borreliose-Symptomen und empfiehlt den Besuch beim Arzt, wenn Symptome auftreten. Weitere Informationen unter: www.zhaw.ch/iunr/zecken
«Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat eine sehr nützliche App entwickelt» Felix Ineichen, Arbeitsmediziner Suva
Unfall oder Krankheit – wer bezahlt bei einem Zeckenstich?
Das Gesetz umschreibt den Unfallbegriff als plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper. Ein Zeckenbiss erfüllt die verlangten Kriterien und wird deshalb von den Unfallversicherern als Unfall eingestuft (Hautverletzung mit Infektionsrisiko). Die Kosten werden somit durch den Unfallversicherer getragen. Dies gilt auch bezüglich allfälliger, in Einzelfällen möglicherweise auftretender Spätfolgen, sofern zwischen den eingetretenen Gesundheitsstörungen und dem Zeckenbiss ein überwiegend wahrscheinlicher Kausalzusammenhang bewiesen ist.
Was passiert bei einem Zeckenstich?
Bei einem Zeckenstich (umgangssprachlich auch Zeckenbiss) wird die Haut von einer Zecke mit den Kieferklauen angeritzt und anschliessend der «Stachel» (das Hypostom) in der Wunde verankert. Die Zecke sticht dabei keine Ader an, sondern reisst eine Wunde, die aus verletzten Kapillaren voll Blut läuft. Vor Beginn der Nahrungsaufnahme gibt die Zecke ein Sekret (Speichel) ab, das mehrere wichtige Komponenten enthält:
- Einen Gerinnungshemmer, der eine Verstopfung des Stechrüssels (Hypostom) verhindert und den Blutfluss hin zur Einstichstelle steigert.
- Eine Art Klebstoff, der die Mundwerkzeuge fest in der Haut verankert.
- Ein Betäubungsmittel, das die Einstichstelle unempfindlich macht.
- Einen entzündungshemmenden Wirkstoff, der eine Stimulation der körpereigenen Immunabwehr an der Einstichstelle vermeiden soll.
Anschliessend wird das Blut durch die Zecke aufgenommen. Die Oberseite des Hypostoms bildet eine eingesenkte Rinne aus, die mit der Unterseite der Cheliceren einen Nahrungskanal bildet. Die Mundöffnung liegt oberhalb des Hypostoms, an dessen Basis. Die Unterseite des Hypostoms trägt Reihen von Zähnen, die artspezifisch geformt sind. Diese sind umso gröber, je länger die entsprechende Zeckenart im Wirt verankert bleibt. Beim Saugakt würgt beziehungsweise spuckt (regurgiert) die Zecke in regelmäßigen Abständen während der Blutmahlzeit unverdauliche Nahrungsreste in ihren Wirt zurück. Speziell bei diesem Vorgang können Krankheitserreger, die zuvor bei einem früheren Wirt aufgenommen wurden und sich im Zeckenkörper erhalten oder sogar vermehrt haben, auf den nachfolgenden Wirt übertragen werden. Erreger, die sich bei einer infizierten Zecke in ihrem Darmtrakt befinden, werden nicht unbedingt sofort, sondern mitunter erst während des Saugaktes nach einigen Stunden (bei der Borreliose zum Beispiel in der Regel 8 bis 24 Stunden nach dem Einstich) auf den Menschen übertragen. Deshalb ist eine möglichst rasche und vorsichtige Entfernung einer Zecke dringend angeraten.