Sich bewusst für das Sterben entscheiden

Rund 500 Personen beschäftigten  sich in Nottwil mit Fragen rund um die Selbstbestimmung am Lebensende. Bild Peter Lauth.

NOTTWIL – Gegen 500 Personen interessierten sich am Gründonnerstag in Nottwil für das emotionale und aktuelle Thema «Selbstbestimmung am Lebensende zwischen Palliativ Care, Behandlungsverzicht und assistiertem Suizid».

«Selbstbestimmtes Sterben ist zur Realität geworden», betonte der Theologe, Ethiker und Gerontologe Heinz Rüegger in seinem einleitenden Referat «Sterben zwischen Schicksal und Selbstbestimmung». Die moderne Medizin habe ein grosses Arsenal an Möglichkeiten zur Verhinderung des Todes und zur Lebensverlängerung entwickelt. Dies führe dazu, dass wir das Sterben nicht einfach wie früher dem Schicksal überlassen können. Vielmehr müssten wir uns selber bewusst entscheiden, wann wir sterben wollen, indem wir auf lebensverlängernde Massnahmen verzichten oder diese abbrechen wollen. Rund 50 Prozent der Menschen in der Schweiz sterben aufgrund dieser passiven Sterbehilfe und lediglich 1,5 Prozent aufgrund von Suizidbeihilfe wie EXIT, was in der Debatte um die Sterbehilfe zu kurz komme. Die Selbstbestimmung des Sterbens könne für den einzelnen Menschen zur Überforderung werden und habe eine ambivalente Kehrseite. Angesichts dieser neuen Herausforderungen sei es hilfreich, sich mit der eigenen Endlichkeit anzufreunden, jeden Augenblick des Lebens auszukosten, sich in offenen Gesprächen mit Fachpersonen und in der Familie Gedanken über das eigene Sterben zu machen und die entsprechenden Wünsche in einer Patientenverfügung festzuhalten.

Was noch Gutes getan werden kann
Welche Herausforderungen die Selbstbestimmung am Lebensende an den Arzt stellt,  zeigte Beat Müller, Leitender Arzt am Tumorzentrum des Luzerner Kantonsspitals, anhand einer Visite mit dem Palliativmediziner auf. Die acht Patienten auf der spezialisierten Abteilung werden in multiprofessionellen Betreuungsteams von Ärzten, Pflegenden, Seelsorge, Psychologie, Sozialarbeit, Ernährungsberatung, Physiotherapie und Freiwilligen in ihrer letzten Lebensphase achtsam, respektvoll und einfühlsam betreut. Im Zentrum stehe die Lebensqualität. Die Erfüllung selbstbestimmter Wünsche scheitere leider oft an räumlichen und personellen Ressourcen. Dasselbe gelte für den Grossteil der Menschen, die zuhause sterben möchten. Gründe dafür seien komplexe und instabile Krankheitsverläufe, überforderte Angehörige sowie zu wenige kompetente ambulante Pflegedienste und der sich abzeichnende Hausärztemangel.

Marion Schafroth, Fachärztin für Anästhesie sowie Konsiliarärztin und Vorstandsmitglied EXIT, wollte mit ihrem Referat Vorurteile zu den Freitodbegleitungen von Sterbehilfeorganisationen abbauen, sei doch die Freitodhilfe eine Option, eine Wahl des selbstbestimmten Sterbens. Sachlich stellte sie die Voraussetzungen, Vorbereitungen und den Ablauf einer Freitodbegleitung bei EXIT vor. Persönlich sei es ihr als Ärztin wichtig, Menschen in allen Lebensabschnitten beizustehen. Die liebevolle Freitodbegleitung könne deshalb ein letzter Dienst am Menschen sein und sei deshalb für sie ein Akt tiefster Humanität.

Die ganze Gesellschaft ist gefordert
Im Podiumsgespräch unter der Leitung von Andrea Willimann Misticoni, Redaktionsleiterin der SurseerWoche, zeigte die Pflegefachfrau Rita Schwager eindrücklich auf, wie wichtig ihr ein selbstbestimmtes Leben bis zum Tode ist. Die 56-Jährige leidet an einer Frühdemenz und ist seit ihrer Jugend überzeugtes EXIT-Mitglied. Als Demenzbetroffene hat sie bei EXIT verschiedene sorgfältige Abklärungen durchlaufen und ist sicher, dass sie dank guter Begleitung rechtzeitig gehen kann. Es bedeute für sie eine enorme Erleichterung zu wissen, dass sie den Rest ihrer Krankheit nicht durchstehen müsse. Sie habe alles klar geregelt und keine Angst mehr: «So geniesse ich, was es noch zu geniessen gibt.»

Verschiedene Voten zeigten, dass im Hinblick auf ein gutes selbstbestimmtes Sterben noch viel zu tun ist. Es gehe darum, eine Kultur zu schaffen, in der auch schwache, pflegebedürftige Menschen Platz haben. Palliativ Care benötige Zeit und Raum. Es liege bei jedem einzelnen als mündiger Bürger der Gesellschaft, sich für eine Politik einzusetzen, welche die nötigen Voraussetzungen für eine gute palliative Betreuung am Lebensende schafft. Zur persönlichen Auseinandersetzung mit der brisanten Thematik regte Ständerat Damian Müller, Vizepräsident von Pro Senectute Kanton Luzern, in seinem Grusswort an, während Geschäftsleiter Stefan Brändlin die Fachtagung mit herzlichen Dankesworten an alle Beteiligten schloss.

Monika Fischer

Rund 500 Personen beschäftigten  sich in Nottwil mit Fragen rund um die Selbstbestimmung am Lebensende. Bild Peter Lauth.
Rund 500 Personen beschäftigten  sich in Nottwil mit Fragen rund um die Selbstbestimmung am Lebensende. Bild Peter Lauth.