Eine Zukunft für alle, natürlich

Interview mit Dr. Hans Rudolf Herren

Hans Rudolf Herren, einer der weltweit führenden Experten für nachhaltige Landwirtschaft, gewann 2013 den alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz gegen Hunger und Armut auf unserem Planeten. Der Präsident der Stiftung Biovision ist der erste Schweizer, der mit diesem seit 1980 verliehenen Preis ausgezeichnet wird. Die Jury des «Right Livelihood Award» begründete den Entscheid damit, dass Herren «mit wissenschaftlicher Kompetenz und bahnbrechender praktischer Arbeit einer gesunden, sicheren und nachhaltigen globalen Nahrungsversorgung den Weg bahnt».

Vorangehende Woche wurde Hans Rudolf Herren in der Kategorie «Gesellschaft» mit dem Swiss Award des Schweizer Fernsehens ausgezeichnet. Der weltweit anerkannte Insektenspezialist hatte in den 1980er Jahren mit seiner biologischen Bekämpfung eines verheerenden Insektenschädlings im Maniok Millionen von Menschen in Afrika vor dem Hungertod gerettet. 1995 wurde er dafür als erster und bisher einziger Schweizer mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet.

Herr Herren, was bedeuten Ihnen der Alternative Nobelpreis und der SwissAward?

Diese Auszeichnungen sind eine grosse Ehre für mich. Ganz besonders freut mich die Anerkennung meiner Arbeit in meinem Heimatland. Dass immer mehr Leute Hunger und Armut und unsere Umweltprobleme an der Wurzel anpacken wollen, macht mich optimistisch für die Zukunft.

Sie haben 27 Jahre in Afrika gelebt und gearbeitet. Wieso gerade in Afrika?

Es handelte sich um einen Zufall. Nach meinem Ph.D. in Berkeley wollte ich raus in die Welt Erfahrungen sammeln. Zu diesem Zeitpunkt suchte das Institute of Tropical Agriculture in Nigeria einen Experten auf dem Gebiet der biologischen Schädlingsbekämpfung, sprich meinem Spezialgebiet. Ich startete meine Afrika-Odyssee also in einem Land, wo eigentlich niemand freiwillig hinwollte.

Biovision leistet Hilfe zur Selbsthilfe. Wwie setzen Sie diesen Ansatz konkret um?

Wichtig zu wissen ist, was die Menschen vor Ort benötigen. Um das herauszufinden, führt Biovision viele Gespräche vor Ort und zeigt aus der Diskussion heraus mögliche Szenarien auf. Welche Projekte schlussendlich Biovision vorgeschlagen werden, entscheiden die Menschen vor Ort selbst. So stellen wir sicher, dass die Projekte von «unten nach oben» kommen und nicht umgekehrt. Weiter arbeiten wir eng mit dem Insektenforschungszentrum icipe in Nairobi zusammen, das die Menschen vor Ort mit Informationen und Hinweisen in ihrer Entscheidung unterstützt. Essentiell ist jedenfalls der direkte Kontakt zur Bevölkerung. So lernen wir die Problematik aus erster Hand kennen und können Versuche und Vergleiche zur Lösungsfindung anstellen. Denn obwohl unsere Forschungsarbeit auch zur Lösungsfindung beiträgt, ist es wesentlich, dass auch die Bäuerinnen und Bauern selbst Szenarien testen, sich untereinander austauschen und uns Rückmeldung geben. Damit dieser Informationsfluss gewährleistet werden kann, haben wir das Farmer Communication Programm ins Leben gerufen.

Wo sehen Sie die Grenzen Ihrer Handlungsmöglichkeiten? Ist nicht auch ein politisches Umdenken notwendig, um die Lebenssituation der Menschen nachhaltig zu verbessern?

In der Tat: die Grenzen bestimmt schlussendlich die Politik bzw. die Landwirtschaftspolitik. Wenn diese sich für einen verstärkten Import von Dünger einsetzt, dann werden die Bäuerinnen und Bauern den Bio-Anbau mehrheitlich wieder vernachlässigen. Deshalb versuchen wir die Politik für einen nachhaltigen Kurswechsel in der Landwirtschaft zu begeistern, indem wir mit allen von der Landwirtschaft betroffenen Parteien an einem Tisch zusammensitzen und diskutieren. Das sind nebst Regierungsleuten, auch Personen aus den Bereichen Gesundheit, Ausbildung, Transport, Leute aus dem Privatsektor und aus Bauernorganisationen und Entwicklungspartner anwesend. Wir bieten den Entscheidungsträgern keine fixfertige Lösung an, sondern mit einem hochkomplexen Systemmodell ein Werkzeug, mit welchem sie selbst verschiedene Szenarien durchspielen und quantifizieren können und visuell dann auch gleich die Konsequenzen für die einzelnen Sektoren über einen Zeitraum von bis zu 25 Jahren nachvollziehen können. Das Modell verbindet Umwelt (Wasser, Land, Biodiversität etc.) mit der Gesellschaft (Ausbildung, Gesundheit, Governance und Wirtschaft). Nebst dem Systemmodell ziehen wir natürlich auch Forschungsdaten bei. Schlussendlich aber ist die Umsetzung davon abhängig, wie langfristig eine Politik denkt. Dort sehe ich die Hauptproblematik. Es ist paradox, die Landwirtschaft könnte fast 50% vom Klimarisiko reduzieren. Das ist enorm. Nur begreift niemand, dass die Landwirtschaft nicht nur die Ursache fürs Klima, sondern gleichzeitig auch die Lösung sein könnte. Zumindest die Hälfte der Lösung.

Sie haben die Vision, dass 2050 – bei einer erwarteten Weltbevölkerung von rund 9 Milliarden Menschen – jeder mit gesunder Nahrung versorgt werden kann. Warum sind Sie davon überzeugt, dass diese Vision auch Realität werden kann?

Diese Vision trifft ein, wenn der Norden und Länder wie z.B. Brasilien, Argentinien, Australien aufhören Grundnahrungsmittel in einer Art und Weise zu produzieren, welche nicht nachhaltig ist (Überproduktion) und so natürlich die Negativproduktion im Süden stark beeinflussen. Heute wird die Hälfte der Produktion wieder weggeworfen, d.h. es muss ein Umdenken stattfinden, weg von immer mehr wollen, hin zu Dinge besser und v.a. diverser machen. Anbaugebiete dürfen nicht nur mit einem Produkt bepflanzt werden, sondern gleichzeitig mit verschiedenen Produkten. In meinen Forschungsarbeiten habe ich aufgezeigt, dass wir die Erträge von Grundnahrungsmitteln sehr gut verdoppeln oder sogar verdreifachen können – biologisch und ohne jeglichen Dünger. Bei Bedarf können die Böden mit Phosphat angereichert werden. Wir müssen also eine Landwirtschaft aufbauen, welche sich «selbst ernährt» und in welcher sich die Böden bei jedem Zyklus verbessern. Dafür müssen die Bäuerinnen und Bauern besser ausgebildet werden und mehr Informationen zu nachhaltiger Landwirtschaft erhalten.

Es steht ausser Frage, dass die Bauern vor Ort über viel Erfahrung und Erkenntnisse verfügen, aber diese Werte müssen mit neuen Methoden und Innovationen kombiniert werden. Biolandbau ist entgegen einer vielverbreiteten n Meinung eine moderne Form von Landbau. Modern heisst nachhaltig. Dieser Kurswechsel muss unbedingt stattfinden. Leider sieht es im Moment nicht sehr rosig aus, dabei geht es geht um Freihandelsabkommen usw.. Und genau dort ist der wunde Punkt: der Preis. Solange die Menschen nicht bereit sind, den wahren Preis für gute, nachhaltig produzierte Nahrungsmittel zu bezahlen, wird sich kaum etwas ändern. Der Konsument bestimmt durch seinen Kauf was, wie viel und zu welchem Preis produziert wird. Diese Rückkoppelung ist wichtig. Man kann nicht nur sagen, die Produktion muss von nicht-nachhaltig/hochproduktiv zu nachhaltig/produktiv übergehen, sondern es muss ein Wandel passieren und diesen gibt es nur über den Konsumenten. Das wiederum braucht Zeit. Wie man das den Leuten klar machen soll, ist eine grosse Herausforderung.

Hans Rudolf Herren, Foto: Peter Lüthi, Biovision
Hans Rudolf Herren, Foto: Peter Lüthi, Biovision