Rathausen wird «Ort des Erinnerns»

In Rathausen wird gebaut: Das Kloster Rathausen wird modernisiert und Mitte November 2016 neu eröffnet.

EBIKON – Die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) baut in Rathausen drei neue Wohnheime mit 90 Wohnplätzen für Menschen mit schwerer Behinderung. Gleichzeitig wird auch die historische Klosteranlage saniert. Mitte November 2016 wird die Eröffnung erfolgen. Neben diesen Investitionen in die Zukunft soll die Vergangenheit des Ortes nicht in Vergessenheit geraten: Mit einem historischen Rundgang – im Auftrag der SSBL, konzipiert von der Pädagogischen Hochschule Luzern und unterstützt vom Lotteriefonds des Kantons Luzern – erzählt Rathausen seine Geschichte.

Seit 1971 bietet die SSBL Menschen mit schwerer Behinderung in Rathausen und an 15 weiteren Standorten im Kanton Luzern Wohnplätze und Arbeitsstätten. Rathausen blickt zurück auf eine lange, bewegte Vergangenheit als Kloster, Lehrerseminar, Spital oder Kinderheim (s. Kasten). Die Kinderheim-Periode ist ein leidvolles Kapitel in der Geschichte des Ortes, verbunden mit Gewalt und Übergriffen an Heimkindern. «Mit den Wohn- und Arbeitsstätten der SSBL für Menschen mit schwerer Behinderung hat Rathausen seit den 80er-Jahren eine neue, positive Bestimmung erhalten», ist Rolf Maegli, Direktor der SSBL, überzeugt. «Und mit dem Bau von drei neuen Wohnheimen und der Sanierung der Klosteranlage blicken wir nach vorne.»

Breit abgestütztes Projekt

Die Vergangenheit soll aber nicht in Vergessenheit geraten. Die SSBL als heutige Besitzerin und Betreiberin der Klosteranlage, sowie der Regierungsrat des Kantons Luzern möchten das Erinnern und Gedenken an Vorkommnisse in Rathausen und anderen Luzernischen Kinder- und Jugendheimen an diesem geschichtsträchtigen Ort wachhalten. In Rathausen soll ein «Ort des Erinnerns» geschaffen werden. Die Pädagogische Hochschule Luzern und im Speziellen Markus Furrer, Sabine Jenzer und Martina Akermann, die 2010 im Auftrag des Regierungsrats die Studie «Bericht Kinderheime im Kanton Luzern 1930-1970» erarbeiteten, haben dafür von der SSBL einen Projektauftrag erhalten. In einer Begleitgruppe werden sie unterstützt durch das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern sowie durch verschiedene kirchliche Kreise und staatliche Institutionen. Die SSBL steht auch mit ehemaligen Heimkindern in Kontakt. Die Finanzierung des Kernprojekts ist bereits durch den Lotteriefonds des Kantons Luzern gesichert, für den Gesamtausbau ist die SSBL aber auf weitere Unterstützung in Höhe von rund 250 000 Franken angewiesen.

Menschen im Zentrum

«Ziel des historischen Rundgangs ist es, eine Begegnung mit unserer Vergangenheit, aber auch mit der Gegenwart zu ermöglichen», erklärt Markus Furrer. Im Zentrum stehen die ehemaligen und aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren Lebensgeschichten und vielfältigen Erlebnissen aus dem Alltag. Der Ort Rathausen soll mit einem Rundgang Geschichte und Gegenwart vermitteln. An rund 30 sogenannten Hotspots bei ausgewählten Orten werden dem Publikum Einblicke in die vielfältige Nutzung der Anlage Rathausen im Laufe der Jahrhunderte gegeben. Der Ort mit seiner historischen Bausubstanz soll dabei ins Zentrum gerückt werden, die erhaltenen Räume und Örtlichkeiten, deren Geschichte(n) und Atmosphären. «Die erhaltene Bausubstanz mit ihrer Ausstrahlung bietet sich für einen solchen Zugang geradezu an», führt Sabine Jenzer, Leiterin Projektumsetzung, aus. Es soll keine klassische Ausstellung mit Stellwänden und Objekten in Vitrinen werden. «Die ehemalige Klosteranlage Rathausen ist auch kein Museum, sondern ein Ort, an dem gelebt und gearbeitet wird.» Die Besucherinnen und Besucher können die verschiedenen Hotspots selbständig und gemäss ihren Interessen besuchen und erkunden. Bildmaterial, sprechende Zitate, prägnante Quellenauszüge, akustische Elemente, Video- und Audiomaterial werden auf dem historischen Rundgang die Geschichte des Ortes erzählen und seine Atmosphäre zugänglich machen. Zusätzliche Unterstützung bieten Informationsmittel in gedruckter oder elektronischer Form wie etwa ein Booklet oder QR-Codes an jedem Hotspot, die via Web Zugriff auf Informationen ermöglichen.

Geführte Rundgänge sind geplant

Die Inhalte des Rundgangs sollen selbstverständlich auch behindertengerecht vermittelt werden. Zudem sieht das Projekt vor, dass in einem zweiten Schritt auch geführte Rundgänge für Besucher durchgeführt werden. «Ebenso ist auch ein Rahmenprogramm mit Vorträgen und weiteren Veranstaltungen geplant», erklärt Direktor Rolf Maegli. «Wie das im Detail aussehen wird, daran sind wir am Arbeiten. Wir hoffen aber, dass möglichst viele Besucher nach der geplanten Eröffnung in der zweiten Jahreshälfte 2017 den Rundgang in Rathausen nutzen. Die SSBL ist bestrebt, sich weiter zu öffnen und den Kontakt und Austausch zu pflegen. Der historische Rundgang wird uns dabei sicher unterstützen. Ein Besuch bei uns lohnt sich. Rathausen ist ein Ort, der lebt – mit seiner Vergangenheit.»

 

750 Jahre bewegte Geschichte

Der Gebäudekomplex in Rathausen war zunächst während rund 600 Jahren ein Zisterzienserinnenkloster, das 1848 als Folge des Sonderbundskriegs und im Zuge der Säkularisierung aufgehoben wurde. Danach diente die Anlage als multifunktionaler Ort, an dem sich wichtige sozialhistorische Begebenheiten abspielten. So diente die Anlage zunächst als Lehrerseminar, nach dessen Wegzug wurden zwischenzeitlich Internierte der Bourbakiarmee im Klostergebäude beherbergt. Später wurde das Amtshaus kurzfristig als Pockenspital genutzt, bevor die Klosteranlage 1883 zu einem katholischen Kinderheim umfunktioniert wurde. Seit 1983 wird die Anlage von der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) als Wohn- und Arbeitsstätte für Menschen mit Behinderungen betrieben.

Foto: chrisaliv/wikipedia

Geschichte und Zukunft in Rathausen: Rund um den historischen Milchhof 1912 entstehen drei moderne neue Wohnhäuser.
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In Rathausen wird gebaut: Das Kloster Rathausen wird modernisiert und Mitte November 2016 neu eröffnet.
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