Die Geschichte hinter dem Paket für Lilli

Buchvorstellung

Die Geschichte hinter dem Paket für Lilli 

Die Schweizerin Jula Fink stösst im Museum auf eine Schachtel mit ungewöhnlichem Inhalt. Es sind Erinnerungsstücke, zusammengestellt von besorgten Eltern für ihr Kind.

Mit zwölf Jahren darf die Jüdin Lilli Bial aus Wien ausreisen. England hat sich nach den Novemberpogromen 1938 bereit erklärt, eine unbegrenzte Zahl von Flüchtlingskindern aus dem «Grossdeutschen Reich» aufzunehmen. Den Eltern der Kinder wird die Einreise jedoch nicht gewährt.

Aus Sorge und Sehnsucht stellen Lillis Eltern 1942 für ihre Tochter ein Paket zusammen, gefüllt mit Erinnerungsstücken. Doch die Schachtel wird nie abgeschickt, da das Ehepaar Bial vorher deportiert und in der Nähe von Minsk umgebracht wird. Das liebevolle Paket indes bleibt erhalten. Es findet später seinen Platz im Jüdischen Museum Wien, wo es Jula Fink sofort auffällt.

Tief berührt davon, nimmt sie die Spur auf. Nach und nach wird sie konfrontiert mit dem Geschehen und den Schicksalen der damaligen Zeit. Zwar konnten viele Kinder gerettet werden, doch zu welchem Preis! Die Verzweiflung während des Holocausts wurde in der Literatur schon mehrfach beschrieben. In «Vorübergehend Wien» nimmt der Leser jedoch eine etwas andere Sichtweise ein.

Lesegenuss

Es ist das erste Buch von Katharina Geiser. Sie entrollt darin Schritt für Schritt ein berührendes Schicksal, das den Betrachter umso mehr trifft, wenn er selbst im Museum vor der Schachtel steht. Doch die Notizen, Spielsachen, Fotos, Klaviernoten strahlen nicht nur Trauer, sondern auch Trost aus.

Zusammen mit der fiktiven Handlung ergeben die Recherchen einen Lesestoff, den man nicht einfach «verschlingen» kann. Die Schönheit der Sprache lädt zum Genies-sen ein, was besonders in Geisers Geschichtenband «Rosa ist Rosa» voll zum Tragen kommt. «Katharina Geiser schreibt eine Sprache für alle Sinne. Man riecht, schaut, fühlt, hört und spürt die Klänge auf der Zunge. Warum kann sie das? Weil sie neugierig ist auf die Nuancen der Welt und auf die Wörter, die ihr zugeflogen kommen.» So der  Literaturprofessor Peter von Matt auf dem Umschlagtext.

Geisers Nachforschungen führten sie nach England, wo die Autorin schliesslich ihre Protagonistin Lilli Bial persönlich traf. Auch im Werk «Diese Gezeiten» stiess sie in einem Museum auf ihr Thema. Für diesen Roman erhielt sie den Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank.

Neues Projekt

Auch das neue Projekt hat mit historischem Stoff zu tun, der allerdings freier gehandhabt werden soll. «Es wäre schön, mich einmal (auch schreibend) um ein Gegenwartsthema kümmern zu können. Andererseits bin ich überzeugt, dass diese Leben und Geschichten, die quasi an mich herangetragen werden, doch sehr viel mit unserem Heute zu tun haben», schreibt Katharina Geiser.

Die Autorin arbeitet als Deutschlehrerin in einem Kindergarten und lebt in Wädenswil.

Maria Büchler